„Gier ist gut“. Das wusste Gordon Gecko (Michael Douglas) in Oliver Stones Kapitalismuskritik "Wall Street" von 1987 zu berichten. Jordan Belfort, ein Ex-Börsenmarkler, auf dessen Memoiren „The Wolf of Wall Street“ beruht, hat dieses Mantra noch weiter verfeinert. Seine Devise lautet „Reich ist perfekt“ und Regie-Altmeister Martin Scorsese bringt diese Wörter nun als dreistündigen Dauerrausch auf die Leinwand. Das Ergebnis ist purer Exzess. Da wird aus Hurenhintern gekokst, mit Zwergen geworfen und Einhundertdollarscheine landen zerknüllt im Papierkorb. Drehbuchautor Terence Winter (der zusammen mit Scorsese die Prohibitionserie „Boardwalk Empire“ ins amerikanische Fernsehn breachte) machte aus Belforts Buch, welches in einem klassischen Rise &Fall-Gerüst steckt, ein primär nicht an Kritik und Substanz interessiertes Script. Immerhin weiß Scorsese wie er diese Mankos mit viel inszenatorischem Zuckerguss kaschieren kann. Doch bei 179 Minuten Film bleibt es nicht aus, dass dieses hübsche Kartenhaus irgendwann in sich zusammen fällt. Fast schon so wie ein Börsencrash.
Sagt man „The Wolf of Wall Street“ muss man zwangsläufig auch Leonardo DiCaprio sagen. Nach Calvin Candie („Django Unchained“) und Jay Gatsby („Der große Gatsby“) performt er nun die dritte Kapitalistenrolle in Folge. Auch hier schöpft DiCaprio aus den Vollen, spielt kraftvoll und überzeugend. Es gelingt ihm sogar das, was bereits Michael Douglas in „Wall Street“ gelang: es stellt sich eine Faszination ein. Das geldgeile Ekel Belfort wird zum Sympathieträger. Eine durchaus große Leistung, wie es auf dem ersten Blick scheint, doch dies wird durch Heuchelei erschwindelt. Denn „The Wolf of Wall Street“ ist in allem sehr zeigefreudig und redselige, nur die Opfer des Börsenbetrügers kommen nie zu Wort und sind auch nie zu sehen. Sie bleiben unsichtbar. Das Wort „Opfer“ fällt erst gegen Ende, ganz beiläufig und ohne wirkliche Resonanz. Zugegeben, diese Mentalität passt schon zum Rest des Films, der auf political correctness pfeift und einen Verbrecher feiert als wäre es ein Rockstar. Aber wo bleibt dabei die Substanz? Die Kapitalismuskritik kommt erst gegen Ende aus ihrem dunklen Verschlag herausgekrochen. Es wirkt fast wie eine Art Kür, die mit großem Zwang aber ohne sonderliche Aufrichtigkeit herausgepresst wird. Dabei hätte Scorsese und Winter durchaus Optionen gehabt aus Belfort und seinen Machenschaften mehr herauszuholen als eine langgezogene Ansammlung von Orgien, Designermöbeln und Geschäftsvorträgen.
„The Wolf of Wall Street“ besitzt ihn nämlich, einen Konterpart zu Jordan Belfort. Der FBI-Ermittler Patrick Denham (Kyle Chandler, „Super 8“, „Argo“) versucht dem Yuppie das Handwerk zu legen, nur dauert es zum einen zu lange bis dieser Denham sich zeigt und wenn er endlich in der Handlung positioniert wurde, scheint ihnen Winter und Scorsese einfach vergessen zu haben. Aber mal ehrlich, wer will einen Spielverderber schon auf einer Party haben? Denn „The Wolf of Wall Street“ ist eine einziges großes Fest. Champagner, Hummer, Kaviar, Callgirls und vor allem Drogen. Belfort ist ein Junkie: Koks, Tabletten und Dollar sind seine Stoffe und dieses Leben macht, allen Einwänden zum trotz, Spaß. Das Ganze erinnert schon ein wenig an Danny Boyles Heroingroteske „Trainspotting – Neue Helden“. Auch hier wurde zunächst darauf verzichtet, die Moral einzufordern. Die Lebensfreude regiert. Doch wo Boyle mit Hilfe des Ekels und sozialer Tristesse schon von Beginn an die Schattenseiten offenbarte und diese ewig drohend über allem schwebte, steht „The Wolf of Wall Street“ eher arrogant und blind der brutalen Wahrheit gegenüber. Und genau das macht auch durchaus Freude, zumindest beim ersten Mal, aber „The Wolf of Wall Street“ suhlt sich so elendig repetitiv darin sich einfach nur diversen Maßlosigkeiten hinzugeben, dass am Ende nicht mehr übrig bleibt als ein großer Kater.
Letztlich ist es aber die schiere Länge, die „The Wolf of Wall Street“ dazu bringt, zu scheitern. Drei Stunden ist einfach zu viel. Scorsese und Winter füllen diese Zeit mit Szenen und Dialogen die durchaus einen Sinn haben und auch einen Zweck erfüllen, aber es findet keinerlei Entwicklung statt. Es wird viel gespielt mit Off-Kommentaren, Musikuntermalung und Montagen, aber es bleibt eine hübsche Hülle, die nach und nach das große Fast-Nichts, was sich dahinter verbirgt, nicht mehr wirklich verschleiern kann. Gewiss besitzt „The Wolf of Wall Street“ durchaus auch eine Aussage. Wenn Belfort vom Forbes Magazin kritisiert wird, es ihn als twisted Robin Hood bezeichnet, ganz öffentlich sein Geschäftskonzept verteufelt und diese harsche wie richtige und gute Kritik sich aber am Ende als beste Art der Werbung erweist, dann hält „The Wolf of Wall Street“ der Fratze des Kapitalismus den Spiegel vor. Eine Fratze, die sich nicht nur bei jungen Finanzjongleuren findet, sondern auch bei Herr und Frau Jedermann (was auch das Ende des Films offenbart). Ja, alles gute Einzelheiten, aber sie gehen einfach im wüsten Rausch unter.
Es gibt gewiss viele Gründe „The Wolf of Wall Street“ zu lobpreisen. Der Film haut einem seine Stärke immer wieder und mit voller Kraft und Geschwindigkeit um die Ohren. Dabei kümmert er sich einen Dreck um Etikette, was durchaus erfrischend ist, doch dies beinhaltet eben auch, dass er fast schon mephistophelisch grinsend die Wahrheit so verkauft und beinah schon verdreht, dass ein ungutes Gefühl zurück bleibt, zumindest dann, wenn es durch die andauernden Party- und Drogenszenen nicht betäubt wurde. Am Ende, und das ist durchaus auch eine Leistung, gelingt es „The Wolf of Wall Street“ ein Scheusal als gefallenen Helden darzustellen, als Symbol des Kapitals. Mag sein das Martin Scorsese irgendwo dazwischen noch andere, differenziertere und kritischere Zwischentöne versteckt hat. Die sind aber wahrscheinlich längst vom ganzen Koks high und so bleibt hier nur ein Fazit übrig: dieser Wolf heult wild und laut, nur beißen tut er nicht. Von Gordon Gecko könnte dieser Belfort noch was lernen.