5 Oscars - das ist eigentlich ein sehr guter Grund, sich einen Film zumindest der Auszeichnungen wegen anzuschauen. Wenn man jedoch weiß, dass sich dahinter ein Stummfilm verbirgt, ist es zumindest bei mir der Fall, sich erst mit dem Gedanken anzufreunden... also: ok, wenn ich mal Lust darauf habe.
100 Minuten später bin ich den Gedanken immer noch nicht losgeworden, aber bin um die Erkenntnis reicher, dass man diesem wahrlich sonderlichen Experiment höchsten Respekt zollen darf. Es ist nicht nur die Machart, einen Stummfilm so gut wie möglich wieder aufleben zu lassen, sondern auch der Inszenierungsideenrecihtum, wie man dieses Konzept wohl durchdacht durchbricht (was letztlich nur ein paar Male vorkommt).
Das auffälligste Merkmal, dass man es hier mit einem Film von 2011 zu tun hat, sind eigentlich die Darsteller, die schon in ihrem Auftreten nicht mehr wie von vor 90 Jahren wirken. Das liegt zum Einen eben am Zeitgeist selbst, der wohl nie wieder dieses etwas naive und überdrehte Acting zeigen wird (Douglas Fairbanks sollte man mal zum Vergleich anschauen, das hat schon eine komplett andere Körpersprache), zum Anderen wirkt das Bild eben nicht mehr so arm an Frames oder in der Belichtung flackrig. Sogar atmosphärisch kann es werden, wenn etwa George hier im Kino über den Tonfilm lacht und das Leuchten der Filmprojektoren als unheilvolles Stilmittel verwendet wird - solche Mätzchen gab es damals noch nicht. Letztlich fallen dann aber nur noch die eindeutigen Toneinspieler ins Gewicht; ansonsten wird hier wirklich noch mit Texttafeln und den üblichen Dreingaben gearbeitet.
Bei der Story jedoch war ich heilfroh, dass der Film "gerade mal" 100 Minuten dauerte. Keine Ahnung, aber es scheint der Lauf der Dinge zu sein, dass man mit Stummfilmen heute kein eindeutiges Unterhaltungsgefühl mehr erfährt. Ich hatte mich auch schon letztens durch 2,5 Stunden "Der Dieb von Bagdad" durchquälen müssen, weil wir heute natürlich andere Standards gewohnt sind und man Sprache, Ton allgemein und sonstige technische Errungenschaften eben als selbstverständlich hinnimmt. Also sind wir alle diejenigen, die das Neue wollen und das Alte verschmähen, grundsätzlich jedenfalls, und genau das ist bei "The Artist" ja das Thema. Dass die Story wenigstens versucht, solche Defizite mit Inhalt zu kompensieren, ist ja löblich, aber das stufenweise Hochschrauben der Dramatik bis zum Alleräußersten empfand ich ein wenig wie Spielzeitfüllung und in Zügen zu viel des Guten.
Das ist aber Kritik auf hohem Niveau - die Idee, überhaupt hier einen Epochenübergang Stumm- zu Tonfilm zu thematisieren, hat nicht nur etwas Nostalgisches, sondern an sich schon was sehr Innovatives. Es herrscht dieses wunderbare Film-im-Film-Konzept vor, und manchmal geht man über das Regelwerk hinaus, indem man entweder den Ton kurz laufen lässt oder sozusagen ein Behind-the-Scenes-Bild zeichnet. Man hat also mehrere Erzählebenen geschaffen und kratzt so ein bisschen an der Grenze zum Surrealen.
Auch bei den Schauspielern hat man alles richtig gemacht. Jean Dujardin ist eine wahre Offenbarung für den Film und kann sich den Oscar zurecht in die Vitrine stellen. Auch Bérénice Bejo passt da trotz ihrer modernen Gesichtszüge gut in den Film. Auch Penelope Ann Millers Auftritt hat mich ein wenig überrascht, weil ich sie nur noch aus den früheren 90ern kenne ("Das Relikt", "Kindergarten Cop") und sie doch ziemlich von der Bildfläche verschwunden war. Und James Cromwell? Naja, den kann ich mir eigentlich überall anschauen. Letztlich wäre da noch Hund Uggy zu erwähnen - der stiehlt fast jedem Menschen noch die Show!
Fazit: Wenn man mal Lust auf was Neues (hier: was Altes) hat, sollte sich mit "The Artist" unbedingt mal einstimmen. Die 100 Minuten sind echt gut investiert, ist aber in seiner Machart fast zu gut kopiert worden, um es nur als Übergang zu betrachten. Die außergewöhnliche Idee hat sehr gut funktioniert, und die paar Mäkel, die auffallen, sind eben eher dem Zeitgeist zuzurechnen - es ist also nichts für Jedermann, von Breitwand mit 3D und DTS-7.1-Sound direkt zu den Anfängen ohne Sprache und Ton zu wechseln.