Insgesamt über 80 Jahre ist es nun her, seitdem sich das Kino grundlegend gewandelt hat. Wo einst die Schauspieler stumm und mit Musik untermalt (zumeist live im Kinosaal gespielt) die Handlung erzählten, wurde durch den Tonfilm die Sehgewohnheit des Publikums revolutioniert. Einstige Stars vergingen, Regisseure stellten sich der neuen Materie und auch der Zuschauer selbst, erlebte eine wahre Renaissance. Umso unwirklicher erscheint es da, in Zeiten von brachialer wie tosender Action sowie Dolby-Digital-Sound, einen wahrhaftigen Stummfilm in die Kinos zu bringen. Doch der französische Regisseur Michel Hazanavicius geht dieses Wagnis gerne ein und präsentiert mit The Artist eine fantastische Hommage sowie ein wahres Liebesbekenntnis (welches zugleich auch erneut das Ende dieser Ära einläutet) an ein längst vergangenes Kino, das niemals fortgewesen zu sein scheint. Fantastisch in Szene gesetzt, in Schwarz-Weiß-Ästhetik, 4:3 Format sowie mit einer regelrechten Detailverliebtheit, entsteht so ein Blick zurück auf die goldene Ära des Films, in dem Stars wie Charles Chaplin, Buster Keaton, Harold Lloyd oder Douglas Fairbanks (auf dem im Film auch stets Bezug genommen wird), mit ihre größten Erfolge feierten. Somit entsteht ein nostalgischer Trip durch die Geschichte, der aber auch durch seine fabelhafte romantische Handlung zeigt, dass mancher Stoff eben doch zeitlos bleibt.
Regisseur Michel Hazanavicius geht indes gerne den Weg zurück in die Kinogeschichte. Denn bereits mit seinen gelungenen Komödien OSS 117 – Der Spion, der sich liebte und OSS 117 – Er selbst ist sich genug!, zeigte der Franzose, dass es durchaus möglich ist, den alten Zeitgeist erneut auf Zelluloid zu bannen (in dem Fall das Agentengenre der 50er wie 60er Jahre). Rund 150 Stummfilme später sowie mit einer deutlichen Liebe für die Zeit des 20er und 30er Jahre Kinos, entschied sich Hazanavicius dann für einen klassischen Stummfilm, ohne ihn in ein modernes Gewand zu verpacken. Gerade diese Entscheidung erweist sich als goldrichtig. Denn während bereits nach den ersten Minuten das Gefühl entsteht einen alten Klassiker dieser wunderbaren Ära zu erblicken, erweist sich auch der Rest als handwerklich perfekt in Szene gesetzt. Spätestens wenn so nach den ersten Minuten, und dem Ende des Premierenfilms A Russian Affair, der tosende Applaus nicht zu hören ist, steht fest, dass hier eindeutig ein anderes Kinogefühl wartet. Was folgt ist zwar im Kern eine klassische Ein Stern geht auf- Story (OT: A Star Is Born aus dem Jahr 1937 der aber auch Bezug auf What Price Hollywood? von 1932 nimmt), doch angesichts einer Hommage ist dieser Weg nicht verkehrt. So arbeitet The Artist viel mit Referenzen, Anspielungen und Versatzstücken des Stummfilmgenres, ohne es hierbei zu versäumen, auch viele eigene Ideen sowie Eigenheiten in die Handlung mit einzubauen. Diese Komposition aus Geschichte, hervorragender Darstellung, detailgetreuer Inszenierung sowie fantastischer Musik, ergibt schließlich ein Leinwanderlebnis, welches begeistert.
Faszinierend ist hierbei auch, dass sich die Handlung gerade auf den Wandel der damaligen Zeit konzentriert. Chaplin selbst, legte jahrelang konsequent die neuen technischen Möglichkeiten ab (persiflierte sie sogar in Moderne Zeiten aus dem Jahr 1936) und brachte erst 1940 mit Der große Diktator seinen ersten Tonfilm in die Kinos. Für viele damalige Stars, vor allem für die, die keine gute Stimme besaßen oder gar einen Akzent sprachen, war die Umstellung tatsächlich hart. So steht die Hauptfigur George Valentin für diese Veränderung. Für die Skepsis bezüglich neuen Innovationen oder gar das Festhalten an wahrhaftigen Starallüren. Peppy indes, ist eben der neue Star, das neue Gesicht mit der hervorragenden Stimme, sodass frisches Blut mehr Zuschauer in die Kinos locken soll. Gerade die Traumsequenzen von Valentin, die seine Angst vor der Veränderung symbolisieren, ergeben so ein fantastisches Bild, welches symbolisiert, was für ihn die Neuerungen in der Kinobranche bedeuten. Dennoch versäumt es Regisseur Michel Hazanavicius auch nicht, seine Geschichte mit einem kleinen Augenzwinkern zu versehen. Stets wird etwas Humor gestreut (der natürlich nicht aus den wenigen eingeblendeten Dialogen entsteht), sodass die Story auch immer etwas aufgelockert wird. Doch gerade die Übertragung von Gefühlen, gelingt The Artist in Perfektion. Durch die Musikuntermalung von Ludovic Bource (nominiert für den Oscar), weint, lacht, trauert und leidet der Zuschauer förmlich mit. Mal mit schnellen Stücken oder eben traurigen langsamen Melodien untermalt. Eben eine Inszenierung, die Gänsehaut garantiert.
Neben einem durchdachten Drehbuch sowie einer Inszenierung die den Stil der Zeit in jeder Nuance erfasst und wiedergibt, benötigt es unterdessen auch eine Darstellerriege, die sich der Herausforderung des nicht Sprechens stellt. Hauptdarsteller Jean Dujardin sowie seiner Schauspielkollegin Bérénice Bejo, gelingt dieses Meisterstück indes mit Bravour. Ihr charmantes, aufgewecktes wie charismatisches Spiel ist genau richtig, sodass alleine schon ein Lächeln, ein Augenzwinkern oder ein verschmitztes Wegdrehen reichen, um grandios einen Dialog ohne Worte zu offenbaren. Gerade Dujardin, als argwöhnischer wie selbstbewusster George Valentin, gibt eine hervorragende Leistung ab, wodurch er zu Recht bereits als Top-Favorit für den Oscar gilt. Egal ob als sich selbstfeiernder Star oder als gebrochener Niemand, er füllt seine Rolle so mit Leben, dass die Erscheinung komplett das Kino ausfüllt. Doch auch Bérénice Bejo, als liebevolle Peppy Miller, die sich innerhalb kürzester Zeit zum neuen Stern aufschwingt, kann durch ihre Mimik wie Gestik begeistern. Es ist eben eine Spielfreudigkeit gefragt, die jede auch noch so kleine Aussage in die Bewegung transportiert. Eine wahrhaft schwere Herausforderung, die in The Artist meisterlich bewältigt wird. Dies gilt auch für die vielen Nebendarsteller. Allen voran John Goodman, als Studiomogul mit Zukunftsblick, der erneut durch seine imposante Erscheinung beeindrucken kann. Doch auch James Cromwell, als treuer Diener Clifton, kann durch seine subtile Spielweise überzeugen.