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memorylab

Kritik von memorylab

Gesehen: Dezember, 2022

Ein starkes, durchexerziertes Journalismus-Drama, das die Entstehung des mit dem Pulitzer-Preis prämierten Artikels von Jodi Kantor und Megan Twohey über die sexuellen Übergriffe Harvey Weinsteins bei seiner Produktionsfirma Miramax sowie Schauspielerinnen rekonstruiert. Die Inszenierung erscheint trocken und wird von außen maximal mit einen emotionalen Score gefüttert, doch dies gibt der investigativen Arbeit den nötigen Raum und dessen Tragweite. In den stärksten Momenten vermittelt She Said die Schilderungen von Weinsteins Übergriffen empörend gut und bewegend mit hineinbohrenden Fokussierungen der Kamera auf die Darstellerinnen, besonders gut zu sehen bei Zoe Kazan, Samantha Morton und Jennifer Ehle. Unterstützt wird dies durch nachgestellte Szenen (sogar einmal mit O-Ton von Harvey Weinstein und einem Opfer), die Netflix noch mehr Futter für künftige True-Crime-Dokus bescheren wird und das Trauma personenlos implizit wiedergibt – als wäre ein Stück der Würde des Opfers an jenem Tag rausgerissen worden und in diesem Raum weiterleben. Damit weicht Maria Schrader einfach und respektvoll einer Spektakularisierung der Thematik aus.

Zwei Faktoren trüben She Said jedoch. Mit der Perspektive auf die Mutterschaft werden die Implikationen der Arbeit von Kantor und Twohey für ihr Freizeitleben und das der Opfer eingefangen (Laura Madden ist dabei hervorzuheben), aber bei den Protagonistinnen geht dieser Aspekt nicht gänzlich auf. Das zweite Problem liegt in der (noch) zu geringen Schlagkraft des Aufarbeitungsprozesses, der Weinstein im Zentrum des Fadenkreuzes hat, aber den selbst im ersten Akt erwähnten „systematischen Sexismus“ in der Filmbranche nur in ein paar Sätzen zum Schluss spärlich aufgreift. Die Ausdauer der Reporterinnen und der Fokus des Films auf die Betroffenen sind aller Ehren wert, doch eine Androhung, dass die Tage von weiteren Tätern in der Branche gezählt sind, würde dem Film eine brodelnde Energie verleihen.

Bluffen muss man da keineswegs. Es gibt einen Grund, warum das Publikum bei Ricky Gervais‘ Verriss von Hollywood bei den Golden Globes 2020 (drei Jahre nach den Enthüllungen!) aufgebracht war. Es gibt einen Grund, warum Brendan Fraser bei den nächsten Golden Globes nicht anwesend sein wird und es gibt einen Grund, warum bei Seth MacFarlanes Witz während der Verkündung der Nominierungen zur besten Hauptdarstellerin im Jahr 2013 – “Congratulations, you five ladies no longer have to pretend to be attracted to Harvey Weinstein“ – höhnisch gelacht wurde. Die sexuellen Übergriffe und Gewaltausübungen sind verbreitet, lange bekannt und mitnichten ein ausgegrabener Sensationsfund in Hollywood. Es liegt noch einiges im Argen.

Somit begibt sich She Said im kommenden Frühjahr auf sehr sonderbarem Terrain: Der jahrzehntelange Missbrauch von Angestellten und Darstellerinnen durch einen der ehemaligen Schwergewichte Hollywoods könnte den perversen Sockel eines Oscars bilden. Noch absurder wäre es, wenn die Auszeichnung als bester Film passieren würde. Denn dann stünde mit Brad Pitt einer der Produzenten auf der Bühne, der aktuell mit dem Vorwurf der häuslichen Gewalt konfrontiert wird. Beklatscht würde das dann von einem Publikum, das vor neun Monaten noch unverhohlen dem Backpfeifenverteiler Will Smith stehende Ovationen gegeben hat. Ein Lerneffekt bei der Academy setzt mit seinem Ausschluss für die nächsten zehn Jahre langsam ein, aber die Befürchtung bleibt, dass im schlimmsten Fall der Preis sich in eine Morphinspritze verwandeln könnte, die Hollywood für die nächsten Jahre erst einmal ruhigstellen wird.

Trotz all der Konjunktive möchte man hoffen, dass She Said der Startschuss für eine baldige Aufarbeitungs- und Reflexionsphase Hollywoods sein wird. Das magere Einspielergebnis aus den USA gibt zwar zu bedenken, hat aber Weinstein perfiderweise dazu verleitet, diesen Film mittels seiner Sprecherin zu denunzieren. So heißt es aus dem Statement, dass die Menschen von der anhaltenden #metoo-Debatte genervt sind und gerade in diesen Zeiten (Inflation, Ukraine-Krieg) unterhalten werden wollen. Journalismus in Form von Print oder in diesem Fall Film kann aber nicht höflich abwarten, muss erst recht nicht die Unterhaltung priorisieren und sollte stattdessen den Finger in die Wunde legen. Die Hartnäckigkeit von Jodi Kantor und Megan Twohey und seine dementsprechend genervte Reaktion belegen, dass Maria Schrader thematisch alles richtig gemacht hat.

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