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Für Moviebreak das Leben geben

Stu

Von Stu in Anekdoten-Special

Für Moviebreak das Leben geben

Dies ist eine Geschichte über die Macht von Moviebreak, über die Möglichkeiten, die diese wunderbare Filmseite uns eröffnet und darüber, wie schnell der Kopf einem einen Streich spielen kann. Leider ist sie allzu wahr. Und eigentlich gehört sie zu dem, was mir persönlich immer am peinlichsten war. Dennoch möchte ich sie mit euch teilen. Ich hoffe, ihr wisst es zu schätzen.

Wann habt ihr euch zuletzt eine dieser klassischen Hollywood-Geschichten ausgemalt? Wann zuletzt in Gedanken als Underdog nach den Sternen gegriffen? Wann seid ihr zuletzt von einem Extrem ins andere katapultiert worden? Wenn erst kürzlich: Hält das adrenalin-induzierte Hoch noch an? Um zu erzählen, wie ich einen Cannes-Sieger treffen durfte, dann fast doch nicht getroffen habe, weil mir ein ungeplanter Beinahetod dazwischenkam, muss ich etwas weiter zurückspulen. 

März 2015. Ich befand mich im Rahmen meines Auslandsjahrs in Toulouse, Südfrankreich. Ich habe dort für 10 Monate auf drei Mädels aufgepasst, sie tagtäglich von der Schule abgeholt, ihnen Essen gemacht, ein bisschen die Zeit vertrödelt und sie ab und zu ins Bett gebracht, wenn die Eltern länger gearbeitet haben. Den restlichen Großteil der Tage, Wochen und Monate habe ich damit verbracht, wie ein Irrer Filme zu gucken. Das ging gut, weil ich nicht wirklich ein Irrer war. Das habe ich mir zumindest eingeredet. 

Irgendwann, bei einem Auslandsjahr unvermeidlich, bekam ich Besuch. Mein Bruder kam vorbei, hat sich eines Abends mit dem Familienvater aus Toulouse unterhalten. Der Familienvater berichtete von seinem eigenen Bruder, der aufgrund sozialer Inkompetenz nicht selbstständig leben konnte (mit Mitte 40). Rumms, machte da irgendeine Synapse in meinem Hirn und mir wurde schlecht. Was, wenn ich auch der Bruder bin, der sich als nicht lebensfähig herausstellen wird? Ein paar Tage später machte mein Bruder sich wieder auf den Weg in die Heimat, ich war wieder allein im Ausland. Und das ist der klassische Zeitpunkt für Heimweh. Kam auch postwendend. 

Gleichzeitig nagte ich weiter an dem bösen Gedanken. Ich bin nicht lebensfähig, ich bin nicht lebensfähig, ich bin nicht lebensfähig. Es ist bemerkenswert; je öfter man sich so etwas sagt, desto vernünftiger klingt es auch. Tage später (ich bin nicht lebensfähig) musste ich wieder die Mädels aus der Schule abholen. 5 Minuten zu Fuß zur U-Bahn, 12 Minuten in der U-Bahn zur richtigen Station, 7 Minuten von der Station zur Schule (mit den Mädels an den Händen ein bisschen länger (außer in der U-Bahn)). Die ersten 5 Minuten habe ich gemeistert. In der U-Bahn kam dann die Rechnung für meine „nicht lebensfähig“-Gebete. Panikattacke vor allen Franzosen, keine Sprachkenntnisse, Kreislaufkollaps, Schwarz vor Augen, Rauschen in den Ohren, Schweißausbruch, Rausgetaumelt. Damit fingen für mich Monate an, in denen ich nervös war. Jeden Tag, den ganzen Tag. Erhöhte Herzfrequenz, nasse Hände, Unwohlsein. Jeden Tag, den ganzen Tag.

Ich hatte das Glück, dass die Mutter in der Familie in Toulouse Psychologin ist. Also hab ich kurz mit ihr darüber gesprochen, sie hat Verständnis gezeigt und ich hab ihr versichert, dass ich es nicht einsehe, mein Leben von einem Zug zu vermiesen. Also: Weitermachen. In meinem Kopf hieß es nun nicht mehr „Ich bin nicht lebensfähig“, so viel schien mir da bereits sicher, sondern es hieß: „Was, wenn ich wieder Panik bekomme?“ Und damit kam die Panik. Eine selbsterfüllende Prophezeiung also, ein Teufelskreis. Hach, Hirn, herrlich. Das ging einige Monate so, ich hab mich durchgebissen und bin dann zurück in Deutschland irgendwann zur Therapie gegangen. Nach ein paar Monaten war ich wieder gesetzter und konnte normal leben. 

Monate später. Es wird wohl Juli 2017 gewesen sein. Ich durfte Ruben Östlund, Regisseur von Höhere Gewalt und The Square in Hamburg interviewen. Ich überlegte mir ein paar Fragen, schrieb sie auf Deutsch und Englisch auf, war mir sicher: Ha! Mit diesen Fragen werde ich ihn und alle anderen überzeugen. (Von was auch immer.) Am Abend vor dem großen Termin lag ich im Bett, mir nichts, dir nichts. „Was, wenn ich wieder Panik bekomme?“ Was!? Nein, Ruhe, hör auf! Hör auf. Hirn, Kopf, lass es. Mach dich aus, schalte auf Durchzug, genieß die warme Decke, roll dich zusammen. Okay. Gut. Aber was, wenn ich wieder Panik bekomme? 

Natürlich hab ich wieder Panik bekommen. Ich wusste gewissermaßen schon vorher, dass es passieren wird (und deshalb ist es passiert?). Ich bin trotzdem zum Hotel, ich habe mich vorbereitet, meine Notizen herausgeholt, das Mikrofon aufgebaut. Ich bin mit den anderen zum Fahrstuhl gegangen. Dann ist das Blut aus meinen Gliedmaßen zu den lebenswichtigen Organen geflossen. Gucken, hören und stehen muss man anscheinend nicht, wenn es eng wird. Kleiner Kollaps. Trotzdem in den Fahrstuhl, hoch gefahren, ins Zimmer rein. Großer Kollaps, schnell wieder raus, ins Treppenhaus, bisschen in den Mund gebrochen. Kein Mülleimer weit und breit, runterschlucken, Schweiß abwischen, beruhigen. Selbsthass. Der ist unvermeidbar in solchen Situationen. 

Irgendwann kam die Presseagentin (oder so) von Ruben Östlund, die ist nämlich bei den Interviews nicht dabei, sondern koordiniert nur alles für ihn. Sie kam zu mir, fragte die üblichen Fragen, die Leute dann so stellen. Ich antwortete die üblichen Dinge, die ich dann so sage. Selbsthass verstecken. So reden und wirken, als hätte ich mich mit meiner „Krankheit“ abgefunden. Möglichst cool sein eben. Pah. Nach einer Weile kommen die anderen beiden Journalisten aus dem Hotelzimmer, erkundigen sich nach meiner Gesundheit, bieten mir ihre Tonspuren an, damit ich etwas für einen Artikel benutzen kann. Gerne angenommen. Ich hätte Ruben Östlund interviewen können und habe es mir kaputtgemacht. 

Das war zumindest der Stand für ein paar Minuten. Dann kam die Presseagentin (oder so) zu mir und sagte, der Ruben wolle mich noch einmal eben sprechen. Und siehe da; völlig ohne Nervosität, ohne Probleme spaziere ich in sein Hotelzimmer. Stelle mich vor, entschuldige mich für die Umstände, bedanke mich für seine Zeit. Er hat eigentlich keine Zeit und nimmt sie sich trotzdem. Er verwickelt mich in ein Gespräch. Er stellt mir Fragen. Und dann ich ihm. Ton-Technik nicht aufgebaut, drauf geschissen. Ich sauge jedes Wort ein, ich schaue in seine strahlenden Augen, ich höre seine stolze Stimme. Er überrascht mich mit seinen Antworten und ich ihn mit meinen Fragen. 

Letztendlich weiß ich den genauen Wortlaut seiner Antworten natürlich nicht mehr. Ich weiß nur, dass sich Ruben Östlund, der Sieger der Goldenen Palme in Cannes, ein Mann mit Rückenwind also, Zeit für irgendeinen Otto genommen hat, den er nicht kannte, für den er eigentlich keine Zeit hatte und dem er gar nichts schuldig war. Dieser Tag des Interviews fing für mich scheiße an (mit Zweifeln), wurde dann richtig beschissen (Interview doch nicht geschafft) und nahm dann eine große Wendung. Der Held dieser wahren Geschichte ist Ruben Östlund. Ein Held ist er, weil er mir eine Hand reichte und mich aus einem pechschwarzen Moor gezogen hat, nachdem ich vollends darin versunken war.


Dies ist eine Anekdote von Smooli.

Teil 6/6

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