Es heißt, keiner hätte so eine Karriere gehabt, keiner hätte in einer solchen Nische arbeiten können, wie John Cassavetes es tat („Eine Frau unter Einfluss“). Der Begründer und Vater des amerikanischen Independent-Kinos hat nahezu all seine Filme abseits der großen Studios gedreht, mit befreundeten Schauspielern, an Originalschauplätzen, mit vielen improvisierten Szenen. „Ein Kind wartet“ jedoch scheint von dieser Tradition, die Cassavetes mit seinem Debüt „Schatten“ 1959 begann, etwas abzuweichen. Cassavetes drehte mit einem großen Studio zusammen, hatte mit Stanley Kramer einen berühmten und erfolgreichen Produzenten an seiner Seite (bzw. über sich) stehen und musste letztendlich gegenüber genanntem den Kürzeren ziehen. Mit der finalen Schnittfassung ist Cassavetes derart unzufrieden gewesen, dass er, ging es in Gesprächen um „Ein Kind wartet“, stets von „seinem [Kramers] Film“ sprach.
Vom ewigen Zwist von Regisseur vs. Produzent blieb also selbst eine autonome Person wie Cassavetes nicht verschont. Schade ist, dass der Regisseur sich derart radikal von dem Werk entfernte - ein schlechter Film ist „Ein Kind wartet“ nämlich mitnichten. Auch nicht in der Schnittfassung, für die Stanley Kramer verantwortlich zeichnet. Allerdings muss angemerkt werden, dass es bitterschade ist, nie an die von Cassavetes erdachte Version des Films zu kommen. Es ist zwar möglich, durch Interviews etc. eine Vorstellung davon zu bekommen, was der Film mal werden sollte, aber eine Vorstellung bleibt eben dies; ein Gedankenkonstrukt und keine sinnliche Erfahrung. Sein damals dritter Film hätte, wenn man seinen Gedanken einmal freien Lauf lässt, sein bestes Werk werden können. Nicht nur das, sondern ein Riesenerfolg und Klassiker des Weltkinos. Denn Cassavetes wollte mit diesem Film etwas tun, was auch Milos Forman und Jack Nicholson in „Einer flog über das Kuckucksnest“ 12 Jahre später taten und damit Geschichte schrieben; er wollte die Gesellschaft bewegen.
Burt Lancaster („Dein Schicksal in meiner Hand“) und Judy Garland („Der Zauberer von Oz“) verkörpern in „Ein Kind wartet“ zwei Figuren, die auf unterschiedliche Art und Weise mit mental behinderten Kindern arbeiten wollen. Lancaster als Dr. Clark möchte den Kindern ein selbstständiges Leben außerhalb der Hilfseinrichtung ermöglichen. Ein Ziel, das seiner Meinung nach nur erreicht werden kann, wenn die Kinder etwas gefordert werden. Garland als Jean Hansen möchte den Kindern hingegen den Kindern den Aufenthalt mit Liebe und Zuneigung erleichtern. John Cassavetes war der Ansicht, dass das Einweisen von Kindern in derartige Einrichtungen einzig und allein der „normalen“ Bevölkerung helfe, weil diese dann nicht mehr von den mental zurückgebliebenen Kindern genervt würden. Die Abschiebung von bedürftigen Kindern ist demnach eine riesige Ungerechtigkeit, da es eine Antilösung zum bestehenden Problem darstellt und stattdessen nur das Problem theoretisch beseitigt (frei nach dem Motto: Aus den Augen, aus dem Sinn). Cassavetes Meinung lässt sich also im Charakter von Dr. Clark deutlich wiederfinden, während Produzent Kramer lieber die seichte und publikumswirksame Methode von Jean Hansen hervorheben wollte - und Cassavetes Vision zerstörte.
Auch wenn Kramers Handschrift im Film letztendlich überwiegt, sind die ursprünglichen Spuren des Drehs nicht zu übersehen. So finden sich über die gesamte Laufzeit des Films immer wieder Szenen, die mit einem unglaublichen Feingefühl daherkommen. Szenen, die nur so vor menschlicher Wärme strotzen und wirkungsvolle Wahrheiten zutage bringen. Ein Kind wartet; auf das Erwachsenenalter, auf Selbstständigkeit, auf die Liebe, auf das Geheimnis, auf eine Antwort. Eine Antwort, die nur die Freiheit zu bieten hat. In solchen Momenten erreicht Cassavetes Film Sphären, die vier Jahre vor dem Dreh des Films von der Nouvelle Vague und Francois Truffaut mit „Sie küssten und sie schlugen ihn“ ins Weltkino eingeführt wurden; herzergreifende Menschlichkeit gegenüber Unterdrückten. John Cassavetes war ein großer Humanist, ein Regisseur, der sich mit Menschen auskannte wie kein anderer und dem es gelang, mit einer geheimnisvollen Kraft, Nuancen aus seinen Darstellern herauszukitzeln, die sehr selten sind.
Obwohl der Regisseur des Films der Meinung ist, dass das letztendliche Produkt nicht seiner Vision entsprechen würde, sind die Auswirkungen und Reichweiten von „Ein Kind wartet“ nur schwer zu überblicken. So wäre es natürlich viel zu kurz gegriffen, wenn man den Film lediglich als Dokument vergangener Zeiten betrachten würde. Der Umgang mit Behinderten ist noch immer ein ethisch relevantes und gleichzeitig ungemütliches Thema für viele. Bei der Konfrontation mit behinderten Kindern entsteht nicht nur die Frage, wie man mit ihnen umgeht (normal oder eben verhätschelnd, wie Jean Hansen es im Film macht), sondern auch und vor allem die Frage, was „normal“ eigentlich bedeutet. Wäre „normal“ nicht, dass man den Kindern ebenfalls eine ambitionierte Zukunft wünscht und ermöglicht? Das Einweisen in ein Heim wäre dann nicht nur eine faule Erleichterung für die Angehörigen, sondern grenzte an Freiheitsberaubung für die Betroffenen. Augenscheinlich war das zu viel der Wahrheit für Stanley Kramer und das Publikum der 60er Jahre, weshalb er letztendlich auf die Lösung der Fürsorge und Verhätschelung bestand. So wirkt der Film letzten Endes vor allem dank der Musik wie ein typisches Studio-Melodram der Goldenen Ära Hollywoods.