MB-Kritik

A New Kind of Wilderness 2024

Documentary

Inhalt

In der norwegischen Wildnis strebt eine Familie nach einem wilden, freien Leben, doch eine tragische Wendung der Ereignisse zerstört ihre Isolation und zwingt sie, sich den Anforderungen der modernen Gesellschaft anzupassen.

Kritik

Wenn der Abspann Silje Evensmo Jacobsens durchdesignte Doku nach der gedenkenden Widmung an die heimliche Hauptfigur, deren Influencer-Image wie ein stylischer Spuk über der idealisierenden Inszenierung hängt, ihren Blog-Link einblendet, besiegelt das den makabere Merkantilismus der idealisierenden Inszenierung. Eine solche ist das präsentable Porträt der Familie der 2019 verstorbenen Mommy-Bloggerin Maria Gros Vatne auf mehreren Ebenen. Deren kalkulierte Konstruktion verrät mehr als die biederen Bilderbuch-Aufnahmen, die über kindliche Trauerprozesse so wenig vermitteln wie über kollidierende Krisen.

Als eine solche gilt der Umstand, dass Marias Witwer Nik und die drei jüngsten der vier Kinder nicht mehr ausschließlich im idyllischen Heim inmitten Norwegens malerischer Natur unterrichten kann. Stattdessen müssen sie für drei Tage pro Wochen auf eine wie ein pädagogischer Wunschtraum anmutende Schule. Laut Marias die Ereignisse akzentuierender Zitate hindern schulische Institutionen die freie kindliche Entwicklung. Nichts so Marias und Niks Verbote wie Süßigkeiten essen, Fernsehen oder mit Gleichaltrigen herumtollen, versteht sich.

Mit konspirativem Kalkül ignoriert die Regisseurin dergleichen Widersprüche so geflissentlich wie die in Niks scheinheiliger Selbstdarstellung als naturverbunden und verantwortungsvoll. Im Kalenderspruch-Tenor wird von „causing minimum harm to the planet“ gesprochen, aber Jagen, Fischen und Schlachten - vor den Kindern - ist als Hobby völlig normal. Die larmoyante Mischung aus Selbstgerechtigkeit und Selbstmitleid angesichts der enormen Privilegien hätte ein ebenso realistisches wie relevantes Dokumentarthema abgegeben. Stattdessen versteht sich der narzisstische Nekrolog ganz als ideologisches Instrument und passend monetarisiertes Monument.

Fazit

„We want to be independent, free and full of love“, heißt es in einer der pseudonaiven Phrasen Maria Gros Vatnes Mommy-Blogs vom Fake-Familienideal in zauberhafter Naturkulisse und selbstangebautem Öko-Essen. Jene arrivierte Ästhetik prägt Silje Evensmo Jacobsens prätentiöses Porträt, das Marias Tod geschickt kommodifiziert. Die verlogene Verklärung der egozentrischen Elite-Existenz wird zum bizarren Beispiel posthumer Profitablität, voll rentabler Rührseligkeit und neo-liberaler Nostalgie. Oder mit Marias Worten: „Of casting all the complexities off and simply choosing love“.

Autor: Lida Bach
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