Inhalt
Ein Schlachthaus in Budapest wird zum Schauplatz einer seltsam schönen Liebesgeschichte. Mária tritt eine Stelle als Qualitätsprüferin an und sofort wird getuschelt: Beim Mittagessen wählt die junge Frau in der kargen Kantine stets den Tisch, an dem niemand sitzt, und schweigt in sich hinein. Bei der Arbeit ist sie streng, hält sich strikt an die Vorschriften, jedes Gramm Fett zu viel wird mit Punktabzug geahndet. Ohnehin scheint ihre Welt aus Zahlen und Daten zu bestehen, die sich seit frühester Kindheit in ihr Gedächtnis einbrennen. Auch der etwas ältere Endre, ihr Vorgesetzter, ist eine eher verschlossene Persönlichkeit. Zaghaft gehen sie aufeinander zu, erkennen ihre Seelenverwandtschaft und stellen verwundert fest, dass sie nachts die gleichen Träume haben. Vorsichtig versuchen sie, diese in die Wirklichkeit zu überführen.
Kritik
Magischer Realismus und brutaler Dokumentarismus verweben sich in Ildikó Enyedis pointierter Romanze zu einer modernen Fabel über zwei animalische Kreaturen. Es sind Maria (Alexandra Borbély) und Endre (Géza Morcsányi), die in der lyrischen Eröffnungseinstellung jeder für sich durch die Natur streifen. Ihre Annäherung ist zaghaft, denn beide fürchten menschlichen Kontakt. Sie sind verwundete, die eine psychisch, der andere physisch. Die ungarische Regisseurin sieht keine Not für überflüssige Expositionen einer Vergangenheit, die in ihrem Heimatland Narben unterschiedlicher Art hinterlassen hat. Ihre filmisches Gemälde eines Heilungsprozesses ist keine simple Liebesgeschichte, sondern eine Parabel, der zu viel Einfassung schaden würde.
Die versatile Erzählung beginnt in einem der Träume, die immer wieder das Geschehen in ein unwirkliches Idyll versetzen. Doch die verschneite Waldlandschaft ist ein utopisches Wunschbild für die Figuren, eine unterbewusste Flucht aus ihrem abgestumpften Alltag. Letzter vollzieht sich in einem Setting, das sich nach den friedlichen Anfangsszenen in seiner vollen Abscheulichkeit darstellt. In einem Budapester Schlachthaus spähen die Rinder panisch ihrem mechanisierten Tod auf dem Fließband entgegen. Das ist der Arbeitsplatz von Maria und Endre, die sich doch beide viel lieber wie Walt Withman den Tieren zugesellen würden.
Ein Teil des Zaubers, den die Filmemacherin nie zum Fakt verabsolutiert, liegt in der Sensibilität weiblichen Hauptfigur. Maria erscheint ihrem verrohten Umfeld als sozial inadäquat: ein Objekt des Hohns, über das die Fabrikkollegen lästern, statt das jemand mit ihr spricht. Konversationen muss sie erst proben und Playmobilfiguren sind dabei nur bedingt eine Hilfe. Auch ihr Kinderpsychologe ist überfordert, womöglich, da die junge Frau auf seiner Couch kein pathologischer Fall ist. Die Qualitätsprüferin ist eine der wenigen Normalen in einer der eigenen Natürlichkeit entfremdeten Gesellschaft.
Fazit
Subtile Komik durchbricht diese im Herzen tragische Geschichte von Einsamkeit und der Sehnsucht nach emotionaler Nähe in einem Umfeld, das Kontakt entweder als Gewalt oder Triebakt begreift. Das zärtliche Märchen wirkt im bisher grobschlächtigen Berlinale Wettbewerb so fragil wie seine scheuen Geschöpfe und auf wunderbare Weise fehl am Platz.
Autor: Lida Bach