In der Liga unvergesslicher Meilensteine des Horror-Genres hat sich Bernard Roses (Paperhouse) Candymans Fluch schon alleine deshalb einen Platz verdient, da die atmosphärische Schockwirkung des Films weit über die reine Sichtung hinausragte. Die urbane Legende des titelgebenden Geistes, der erscheint, sobald sein Name fünf Mal vor einem Spiegel aufgesagt wird, zieht ihre Spuren nicht nur durch das Drehbuch des Films, sondern bahnte sich einen unmittelbaren Weg in die Köpfe und (Alb)Träume von unzähligen Zuschauern. Sich vor einen Spiegel zu stellen und das berüchtigte Wort selbst fünf Mal zu äußern geriet nach der Veröffentlichung von Candymans Fluch zur allgemein bekannten Mutprobe, die etliche Menschen dazu bewegte, lieber einen weiten Bogen um den eigenen Spiegel zu machen.
Rose, der die Idee für sein Werk einer Kurzgeschichte von Clive Barker (Hellraiser - Das Tor zur Hölle) entnahm, verwendet den schaurigen Mythos als zentrale Faszination, um die sich der Rest der Handlung entspinnt. Das Motiv des Candyman, der jeden ermordet, von dem er vor einem Spiegel heraufbeschworen wird, verkommt im Film selbst nicht einfach zum simplen Aufhänger, der eine Reihe von Morden nach sich zieht. Rose interessiert sich viel mehr für die Wirkung dahinter, wobei er seine Protagonistin Helen persönlich mit der schaurigen Sogkraft der Legende verknüpft und somit auch als ein Spiegelbild des Zuschauers konstruiert.
Für ihre Abschlussarbeit erforscht die Doktorandin urbane Legenden und stößt über einen Mordfall auf die Sage des Candyman. Fasziniert von dem Mythos, der sich vor allem innerhalb der afroamerikanischen Bevölkerung etabliert hat, in deren Vergangenheit die Geschichte des ruhelosen Rachegeistes ihren Ursprung fand, versinkt Helen immer tiefer in ihrer Forschungsarbeit. Für die erste Hälfte seines Films folgt der Regisseur dabei einem beinahe gemächlichen Erzählrhythmus, in dem die Präsenz des Candyman nie eine konkrete Gestalt erhält und doch bedrohlich zwischen den Schauplätzen schwebt, die Helen auf ihrer Spur besucht.
Die Berichte angeblicher Augenzeugen, die der Protagonistin von befragten Personen überliefert werden, setzen sich mit den unheilvollen Orten, die Helen besucht, zu einem subtilen Porträt der Angst zusammen, ohne dass der gefürchtete Rächer selbst jemals in Erscheinung tritt. Die stilvollen Einstellungen, in denen die bedrohliche Architektur mit beklemmender Suggestion verschmilzt, sorgen zusammen mit der eindringlichen Musik von Philip Glass (Die Truman Show) für ein überwiegend subtiles Horrorerlebnis, das im frühen Verlauf des Films zudem einige Schreckmomente provokant ins Leere laufen lässt.
Endgültig dem Wahnsinn entsprungen scheint schließlich die zweite Hälfte, in der Candymans Fluch den eigenen Mythos ausbrechen und wüten lässt. In Form einer verstörenden Materialisierung verschiedener Urängste erzählt Rose vom Kontrollverlust der eigenen Existenz, sobald der Candyman in Helens Leben eindringt. Der Regisseur bedient sich hierfür gleichermaßen Elementen des Slasherfilms, wenn Hunde geköpft und menschliche Körper aufgeschlitzt werden, sowie des psychologischen Horrors und verknüpft beide Stilrichtungen zu einer entfesselten Schreckensvision, die der Protagonistin buchstäblich den Verstand raubt.
Neben Virginia Madsen (Das Geisterschloss), deren Figur weitaus mehr Bedeutung erhält als das typische Opfer, das dem Horror hilflos ausgeliefert ist, verleiht Candyman-Darsteller Tony Todd (Final Destination) dem mordenden Mythos eine vielseitige Aura, die der Figur letztlich zum Ikonenstatus verhalf. Der Candyman ist ebenso teuflischer Puppenspieler, der mit seiner grollenden Stimme ins Unterbewusstsein vordringt, wie tragisches Opfer, in dem sich die soziale Ungerechtigkeit sowie eines der finstersten Kapitel der Geschichte von Amerika widerspiegeln. Auf grausige Weise schreibt dieses geächtete Phantom nun seine eigene Geschichte weiter.