6.5

MB-Kritik

Das kalte Herz 2016

Adventure, Drama, Fantasy

6.5

Frederick Lau
Henriette Confurius
David Schütter
Moritz Bleibtreu
Milan Peschel
Roeland Wiesnekker
Sebastian Blomberg
André Hennicke
Jule Böwe
Lars Rudolph
Oliver Bigalke
Hildegard Schroedter
Eva-Maria Kurz
Ketel Weber
Attila Borlan
Björn Bugri

Inhalt

Der Schwarzwald in mythischer Vorzeit. Die Liebe von Peter und Lisbeth steht unter einem schlechten Stern - sie ist aus gutem Hause, er ist arm und von niedrigem Stand. Um reich zu werden, schließt Peter einen teuflischen Pakt mit dem Holländer-Michel und lässt sich von ihm anstelle seines Herzens einen Stein in die Brust setzen. Dadurch wird Peter rücksichtslos und fühlt nichts mehr. So kommt er seinem Ziel schnell näher und wird reich und angesehen. Doch Lisbeth erkennt Peter nicht mehr wieder und stellt sich gegen ihn. Um Lisbeth zurück zu gewinnen, muss er sein Herz wiederbekommen.

Kritik

An alle Griesgrämigen, an alle Filmmuffel, an alle störrischen Dem-Deutschen-Film-Qualitätsverweigerer da draußen, Ohren und Augen auf und weitergelesen. Gleiches gilt natürlich für sämtliche Leserinnen und Leser, die weder griesgrämig oder muffelig sind, noch dem deutschen Kino kategorisch Qualitäten absprechen. Also an alle; schauen Sie sich mal den Herrn Johannes Naber etwas genauer an. Imposantes Haar, voller Bart, der Gentleman kann sich durchaus sehen lassen. Nun ein Blick auf sein Oeuvre. Sein Langfilm-Debüt, Der Albaner, ein Flüchtlingsdrama entstanden, bevor es cool war, heimste Preise en masse ein. Sein zweiter Film, Zeit der Kannibalen, eine bitterböse Kapitalismus-Satire, mauserte sich zu einem wahren Geheimtipp und Zwerchfelltrainer und wurde unter anderem mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet. Das kalte Herz schließlich ist Nabers dritter Film und die Adaption des Märchens von Wilhelm Hauff.

Ein deutscher Märchenfilm. Vielleicht ist das bereits Anlass für so manche, sich voll Abscheu von Das kalte Herz abzuwenden und einmal mehr der Produktion keinerlei Aufmerksamkeit, dafür aber sehr viel Häme zu widmen. Ach so billige Effekte werden dann bemängelt, hölzerne Schauspieler und lächerliche Geschichten (alle Aussagen sind gewissermaßen aus bekannten sozialen Netzwerken zitiert). Besonders schön ist dabei, dass der Film gerade für derartige Reaktionen gemacht wurde - das wird jedoch erst dann erkennbar, wenn man sich wirklich mit dem Film beschäftigt, den man kritisiert.

Das Thema des Kapitalismus zieht sich bis jetzt durch alle drei Filme von Johannes Naber. In Der Albaner scheitert ein Migrant am deutschen Arbeitsmechanismus und schlendert langsam aber sicher der Kriminalität entgegen - prädestiniert, da er von Beginn als Mensch unterer Klasse angesehen wurde. Zeit der Kannibalen geht dabei weitaus aggressiver vor und zeigt den systematischen Zerfall des Menschen in der Geschäftswelt. Das kalte Herz schließlich trägt seine Kapitalismuskritik in selbigem, handelt es doch von dem Köhler Peter (Deutschlands Schauspieler-Endstufe Frederik Lau aus Victoria), der von niemandem als wertvoll erachtet wird und seine große Liebe Lisbeth (Henriette Confurius aus Die geliebten Schwestern) nicht ansprechen darf, weil sie der Oberschicht angehört. Um ebenso erfolgreich zu werden, lässt Peter sich vom Holländer-Michel (Moritz Bleibtreu aus Soul Kitchen) sein Herz herausnehmen. Schließlich ist Empathie hinderlich, wenn man in der Arbeitswelt erfolgreich sein möchte.

Vor allem in Deutschland wird man und frau selbst im alltäglichen Leben an die einfachste aller Lebensweisheiten erinnert: Du bist, was du hast. Das weiß jeder von den Teenie-Jahren bis ins Rentenalter, selbst kleine Kinder werden unbewusst dahingehend erzogen. Wenn man in einer so fortgeschrittenen Gesellschaft und Wirtschaft wie der deutschen nichts Zeigbares von Wert besitzt, ist man ein Niemand. Devid Striesow sagt es in Zeit der Kannibalen sehr schön: Pakistan ist grad im Sonderangebot. Die zwischenmenschliche Arroganz, die tatsächlich herrscht und als selbstverständlich wahrgenommen wird, lässt sich mit keinem Klischee, mit keiner plakativen Szene in seiner vollen Wirkung darstellen. Das hat sich die Menschheit selbst eingebrockt, das hat sie selbst verfestigt und zum Teil ihres Lebens gemacht. Die Spitze der Schöpfung befindet sich in einer gegenseitigen Schlammschlacht um gesellschaftlichen Status und Geld. Empathie und Menschlichkeit bleiben dabei auf der Strecke. „Die“ nehmen unsere Arbeit weg. „Die“ bekommen mehr als ich. „Die“ haben kein Recht auf das Leben. Das Herz bleibt dabei kalt.

Natürlich ist diese Symbolik alles andere als subtil, aber gerade aus dieser Deutlichkeit geht ihre immense Kraft und Wirkung aus. Johannes Naber ist das bewusst und nutzt die Grundlage für einen überaus kraftvoll inszenierten Film, der den Kinosaal zum Dröhnen bringt, wenn die Vorgeschichte des Holländer-Michels erzählt wird, wenn Blitze den Nachthimmel erhellen, Donnergrollen die Hörgänge füllt und der gießende Regen alles durchnässt. Eine solche Wucht sieht man selten im deutschen Kino. Einen solchen visuellen Mut vermisst man auch, wenn man nicht Naber guckt. Dabei muss natürlich festgehalten werden, dass Das kalte Herz ein recht simples Drehbuch verfolgt und nicht immer all seine Qualitäten voll ausschöpft. So fällt auf, dass die Wandlung des Protagonisten eher vorausgesetzt als gezeigt wird. Dazu gesellen sich mehrere Kleinigkeiten, die auf jeden Fall besser herausgearbeitet werden können, um das Gesamtbild stimmiger und weniger theaterhaft klischee-orientiert wirken zu lassen. So spielt Das kalte Herz den Deutscher-Film-Muffeln hier und da in die Karten.

Doch sind solche Unstimmigkeiten glücklicherweise die Ausnahmen in einem Film, der vieles richtig macht, einen angenehmen Wechsel der Emotionen anstrebt und auch erreicht. Das liegt auch und vor allem an der technisch hochwertigen Produktion des Films. Angesichts der tollen Sets und den sehr gelungenen Special Effects würde tatsächlich auch interessieren, welche Zahl das Budget letztendlich aufweist. Dennoch verkommen die Effekte nie zum Selbstzweck, ein riesiges Actionspektakel ist der Film eben nicht, viel mehr wird die Technik genutzt, um die Welt, in der die Geschichte spielt, voranzubringen. Zudem leistet die Darsteller-Riege einen soliden bis guten Job, Moritz Bleibtreu darf endlich mal die Zähne fletschen und Sebastian Blomberg seine raunende Stimme durch jeden Winkel des Gehörgangs gleiten lassen.

Mit das schönste Element von Das kalte Herz bleibt dabei die Arbeit von Johannes Naber. Im Vergleich zum sehr stilisierten Zeit der Kannibalen schraubt er hier mehrere Stufen hinunter, bleibt vor allem deskriptiv und naturalistisch, um die einfache Geschichte um Liebe, Sehnsucht, Gier und Hoffnung nicht zu verfälschen. Dennoch findet er hier und da Möglichkeiten, um dem Film zusätzliche Ebenen zu geben. Das Licht, das sich im Glas fängt ist auf und hinter der Leinwand das Symbol für die Liebe zwischen Peter und Lisbeth. Zwischen vor der Leinwand jedoch ist es gleichermaßen ein Symbol für die Liebe zum und Macht des Films. Die Sonne verfängt sich im Glas und lässt Lichtreflexe - die einfachste Form von Kino - auf Lisbeths Gesicht tanzen. Die Freude ist zurück, lebendig ist, wer fühlt. Der Film ist nicht schwer zu verstehen, dennoch stößt er viele Gedanken an, die ihre Zeit und Aufmerksamkeit verdienen. Auch deshalb rollt der Abspann des Films, im Gegenteil zum sehr lauten Anfang des Films, in aller Stille über die Leinwand und entlässt den Zuschauer in die Welt, in der ein Herz nach dem anderen erlischt. Aber auch erscheint.

Fazit

Mit „Das kalte Herz“ ist Johannes Naber seiner Filmographie zumindest in thematischer Hinsicht treu geblieben. Der Kapitalismus und die Herzenskälte der Menschen kommen nicht gut weg in dieser gelungenen, narrativ simplen, visuell interessanten Märchenverfilmung. Wer hölzernes Kino erwartet wird enttäuscht, wer ein modernes Meisterwerk und einen Film für die Ewigkeit erwartet aber ebenso. „Das kalte Herz“ ist der richtige Film zur richtigen Zeit und macht seine Aufgaben richtig. Und dazu, quasi ganz nebenbei, hebt Johannes Naber die Qualität des deutschen Mainstream-Films um mehrere Stufen an.

Autor: Levin Günther
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