Inhalt
Der schüchterne Einzelgänger Evan Hansen (Ben Platt) wird von seiner Therapeutin dazu verdonnert, selbstaddressierte Briefe zu verfassen. Was als bizarres experiment gegen Evans Angstzustände beginnt, entwickelt eine unvorhersehbare Eigendyniamik, als Evans Mitschüler Connor (Colton Ryan) einen der Briefe in die Hände bekommt. Nach Connors plötzlichem Freitod wird der Breif bei ihm gefunden und weckt bei seinen Eltern (Amy Adams, Danny Pino) den Wunsch, den vermeintlich besten Freund ihres Sohnes kennenzulernen. Evan genießt die Aufmekrsamkeit und verstrickt sich immer tiefer in Lügen.
Kritik
Genau wie der manipulative Titelcharakter besitzt Stephen Chboskys (Wonder) Adaption des erfolgreichen Musicals ein bizarres Gespür für die emotionalen Bedürfnisse einer Gesellschaft, die Freitod nicht respektiert, sondern als Symptom von Soziopathie, Egoismus und Familienbeleidigung stigmatisiert. Und wie Evan Hansen (kläglich: Ben Platt, Run This Town) nutzt er dies so hinterhältig zu so egoistischen Zwecken, dass er Abscheu erweckt statt Anteilnahme. Selbige verdiente viel mehr Evans unangepasster Mitschüler Connor (Colton Ryan, Uncle Frank), der nach seinem Suizid im doppelten Sinne instrumentalisiert wird.
Bezeichnenderweise sind Connors Beweggründe nie Teil einer Story, die suggeriert, die mediale Ausbeutung privater Tragödien zu materiellen Zwecken geschehe in bester Absicht. Tatsächlich befriedigen die fingierten Mails, mittels derer sich der angstgestörte Außenseiter Evan durch ein Missverständnis motiviert gegenüber Connors Eltern (Amy Adams, Justice League, Danny Pino, Fatale) und Schwester Zoe (Kaitlyn Dever, Booksmart) als dessen engster Freund ausgibt, allein Evans Bedürfnis nach öffentlicher Anerkennung, Partnerschaft, familiärer Zuneigung und Geld. Kaum ehrbarer sind die Intentionen des seichten Teenie-Dramas.
Der eines Psychothrillers würdige Plot bestätigt Negativklischees über mentale Probleme, Suizid und Armut in sentimentale Songs voller Durchhalte-Floskeln und bagatellisierender Beistandsbekundungen. Steven Levensons (tick, tick... BOOM!) mangelhaft aufbereitetes Originaldrehbuch vermeidet kontroverse Kernaspekte der Thematik, die mit Küchenpsychologie auf Seifenopern-Niveau abgehandelt wird. Pathologisierung negativer Emotionen, psychotherapeutische Gewalt, medizinische Misshandlung, destruktive Happiness- und Gesundheitsdogmen und Pharma-Profite bleiben Leerstellen, genau wie die Gefühle der Familie Connors: dem Sündenbock, Plot-Werkzeug und Zielobjekt homophober Witze eines trivialen Teenie-Totentanz.
Fazit
Ironischerweise ist die mediale Zurschaustellung geheuchelter Anteilnahme eines der markantesten Motive, die der Plot systematisch ignoriert. Statt Aufmerksamkeit für die Verletzlichkeit labiler Heranwachsender zu schaffen, priorisiert Stephen Chboskys Musical-Melodram die Selbstinszenierung als gewissenhaften Beitrag zur Scheindebatte um „Psychohygiene“. Das deutlich zu alte Ensemble propagiert in austauschbaren Pop-Songs ebenso abgegriffene wie ignorante Plattitüden: „nur eine Phase“,„du bist nicht allein“, „das geht vorbei“. Letztes gilt zum Glück auch für die ableistische Idealisierung praktizierter Scheinheiligkeit.
Autor: Lida Bach