Das Marlon Brando („Der Pate“) ein begnadeter Schauspieler war, würden wohl nur die Wenigsten bestreiten. Für einige gilt er gar als einer der größten Darsteller aller Zeiten. So berühmt und verehrt er für seine Fähigkeiten war, so gefürchtet und teilweise sogar verhasst war er für seine exzentrischen Allüren, mit denen er nicht nur anderen, sondern meist sich selbst und seiner Karriere im Weg stand. Auch große Namen fielen dem zu Opfer, im Fall von „Noch hänge ich nicht“ (in Deutschland auch unter „Der Besessene“ oder „Rios Rache“ bekannt) niemand geringerer als die Legende Stanley Kubrick („2001 – Odyssee im Weltraum“).
Kubrick, durch „Wege zum Ruhm“ und „Spartacus“ gerade in die A-Liga der Regisseure aufgestiegen, war ursprünglich mit dem Projekt betreut, geriet allerdings schnell mit seinem Star aneinander. Die Vorstellungen der beiden Dickköpfe über den Film und speziell Brando’s Rolle gingen in völlig verschiedene Richtungen. Das Ende vom Lied: Natürlich behielt das Zugpferd die Oberhand, Kubrick schmiss entnervt das Handtuch und Brando übernahm mal eben selbst die Regie. Nur eines von vielen Problemen hinter den Kulissen: Das Skript wurde mehrfach umgeschrieben, der Film kam auf eine Länge von über drei Stunden und wurde vom Studio kurzerhand um gut eine davon wieder erleichtert. Somit bleibt es nur zu mutmaßen, was aus „Noch hänge ich nicht“ hätte werden können, wenn alles nach Plan gelaufen wäre. Womöglich tatsächlich der großartige und für seine Zeit außergewöhnliche Western, den einige Kritiker auch so in ihm sehen. Der Ansatz dafür ist definitiv vorhanden, denn eigentlich ist das nicht eine der klassischen Heldengeschichten von Gut und Böse, die im US-Western lange Zeit unabdingbar war und eigentlich erst durch den Einfluss aus Europa und die daraus resultierenden Spätwerke des Genres durch z.B. Sam Peckinpah („The Wild Bunch – Sie kannten kein Gesetz“) oder Clint Eastwood („Ein Fremder ohne Namen“) auch auf amerikanischen Boden aufgebrochen wurden.
Der „Held“ der Geschichte Rio (Brando) ist alles andere als ein ehrenhafter Saubermann. Ein Bankräuber, der von seinem Partner Longworth (Karl Malden, „Die Straßen von San Francisco“) im Stich gelassen wurde und nach fünf Jahren im Knast auf Rache sinnt. Das Interessante dabei: Longworth ist inzwischen Sherriff in einer kalifornischen Kleinstadt, ein geachteter Bürger und Familienvater, der offenbar mit allem abgeschlossen hat. Rio selbst ist seinem Metier treu geblieben. Von einer Bande wurde er für einen anstehenden Banküberfall angeheuert mit der Aussicht, sich dabei an seinem alten Weggefährten rächen zu können. Sofort sucht Rio die Konfrontation, doch anders als zunächst vermutet: Er klopft als Freund an die Tür von Longworth; gibt vor, ebenfalls mit der Vergangenheit im Reinen zu sein. Somit kommt er nicht nur als Gast an dessen Tisch, er lernt auch seine junge Adoptivtochter Louisa kennen, die sich unsterblich in ihn verliebt. Wir fassen zusammen: Ein Protagonist ohne blütenweise Weste, der auf eiskalte Vergeltung aus ist und diese perfide vorbereitet, ein Antagonist, der überhaupt nicht (mehr) wie einer aussieht, das Gesetz vertritt und auf Frieden aus ist und dazu noch das (viel zu junge) Love-Interest, dass beide Seiten noch entscheidend beeinflussen kann (und natürlich wird). Nicht nur eine Menge Konfliktpotenzial, eine ungewöhnliche und spannende Rollen- wie Charakterverteilung, die in den Händen eines Stanley Kubrick einen (für die damaligen Sehgewohnheiten) bald kontroversen Film erzeugen könnte. In den Pranken von Marlon Brando sieht das etwas anders aus…
Mal ganz abgesehen davon, dass der Film selbst in der gekürzten (!!!) Fassung mit seinen mageren 136 Minuten viel zu lang geraten ist (es müssen schon wahnsinnig essentielle Szenen entfernt worden sein um die Laufzeit nur irgendwie zu rechtfertigen, vielleicht im Gesamtkontext vernünftig, wird aber schwierig), und das, was von der ursprünglichen Geschichte übrig geblieben ist locker in 100 Minuten effizient erzählt wäre, das größte Ärgernis an „Noch hänge ich nicht“ ist Marlon Brando und sein fast zerstörerischer Hang zur Selbstdarstellung. Zerstörerisch für den Film, nicht (aus seiner Sicht) für ihn. Da ja auch das Drehbuch mehrfach durch den Fleischwolf gedreht wurde ist – genau wie bei der unbekannten Variable Kubrick – nicht mehr eindeutig festzustellen in wie weit sein Einfluss auch in diesem Punkt reichte, es ist aber aufgrund der frappierende Diskrepanz zwischen der ambivalenten Konstellation und der letztlichen Umsetzung stark anzunehmen, dass es seiner Rolleninterpretation angepasst wurde. Es ist schon fast kurios, in welches Licht Brando sich und seine Figur rückt, obwohl das überhaupt nicht in die Geschichte passen mag und im Prinzip den wirklich reizvollen Aspekt gänzlich ignoriert bzw. ihn unter seinem Ego begräbt.
Narzisstisch stellt sich Brando als romantisch-angehauchten, stets in nachdenklicher Pose mit knackig braunem Taine knusprig-verwegenen Helden dar, der zwar ein Verbrecher durch und durch ist, auf einen kaltschnäuzigen Mord aus ist und einen (angeblich) geläuterten Mann erst umarmt, um ihn hinterher eine Kugel in den Rücken jagen zu können, aber wen juckt das, er ist schließlich hier der Star und gehört gefälligst auch so in Szene gesetzt. Nicht nur das: Er belügt das naive Teenager-Töchterlein seines Kontrahenten um es galant anzuknacken, will ihren Stiefvater töten (der immer gut zu ihr war) und was macht sie? Na klar, er ist halt der Mann ihrer Träume und kann so schön schmusig gucken, da ist alles verziehen. Wenn er denn nun als räudiger Anti-Held auftreten würde, aber am Ende wird er eher zum Märtyrer erhoben, Jesus lässt grüßen. Brando pfeift auf alle Kontroversen im Wesen der Figuren und bricht ein klares Gut/Böse-Schema runter, das gemessen am damaligen Status Quo normal war, nur im Hinblick auf diese Grundlage kaum Sinn macht und zudem ein sehr befremdliches Bild vermittelt, wo er die Schwerpunkte sieht: In sich und seiner Außenwirkung.
Insofern doppelt tragisch, da er formell scheinbar zu wissen scheint, wie man einen Film inszenieren kann. Handwerklich ist „Noch hänge ich nicht“ keineswegs schlecht, besonders wenn man im Auge hat, dass es sich um die erste und einzige Arbeit eines eigentlichen Schauspielers auf dem Regiestuhl handelt. Schöne Bilder, einige kraftvolle Szene und tolle Nebendarsteller, besonders Karl Malden, der die Chance seiner Rolle erkannt hat, sie aber kaum ausleben darf. Der überflügelt Brando locker, der neben seinem selbstgefälligen Spiel nur noch durch sein Murmeln und Nuscheln auffällt, selten so prägnant wie hier. Wenn er selbst ein Take durchwinken kann, kommt so was dabei raus.