Inhalt
Der Drogenfahnder Mangin verliebt sich in die Freundin eines Dealers, den er verhaftet hat. Diese hat, während der Geliebte hinter Gittern sitzt, Drogen und zwei Millionen Francs zu sich genommen und sieht sich jetzt von den Brüdern des Inhaftierten gehetzt. Nichtsahnend hilft ihr Mangin aus der Patsche. Selbst als er erfährt, dass das Mädchen ihn belogen hat, steht er zu ihr. Doch als er die brenzliche Situation ausgebügelt und die Beute des Dealers zugespielt hat, verlässt ihn die undurchsichtige Schönheit.
Kritik
„…denn wenn ich dir jedes Wort aus der Nase ziehen muss, flippe ich aus! Und wenn ich ausflippe, werde ich zum Tier! Dann schlage ich zu! Das muss doch nicht sein.“
Mit Louis Magnin (Gérard Depardieu, 1900) ist nicht gut Kirschenessen. Der verbissene, aufbrausende Bulle kennt bei seinen meist zähen Ermittlungen kein Erbarmen, schießt oftmals sogar übers Ziel hinaus, wenn er von der Schuld eines Verdächtigen überzeugt ist. Statt psychologischem Geschick oder subtilen Verhörmethoden setzt er auf Einschüchterung und kompromisslosen Druck, um die Wahrheit aus seinem Gegenüber zu quetschen. Ein Einzelgänger-Bulle, wie er im Buche steht. Hart im Job, einsam im Privatleben. Bis er sich einen ungeahnten Momente der Schwäche erlaubt, sich Hals über Kopf verliebt und plötzlich wie eine Marionette am Faden hängt. Seine verletzliche, sehnsüchtige Seite zeigt und als Strafe dafür als gebrochener Mann zurückbleibt, dem nicht mal mehr seine beruflicher Idealismus geblieben ist.
Ohne eine Form der Einleitung pflanzt Maurice Pialat (Van Gogh) den Zuschauer direkt in den Alltag des Drogendezernats von Paris, in dem Magnin gerade an der Zerschlagung eines tunesischen Dealerrings arbeitet. Schildert das zermürbende Prozedere, von eindeutigen Indizien in die Enge getriebene Verdächtige zum Reden zu bringen, ihre faulen Ausreden immer und immer wieder über sich ergehen zu lassen, bis sie (hoffentlich) endlich unter dem Druck zusammenbrechen. Im ersten Drittel ist Der Bulle von Paris einerseits knochentrocken, extrem nüchtern und sehr in der Realität verankert, andererseits dabei keinesfalls spröde oder langatmig. Im Gegenteil: Mit hohem Tempo, zielstrebig und aufgeladener Dynamik erzeugt der Film auch ohne Action das dezente Gefühl, das französische Äquivalent zu French Connection – Brennpunkt Brooklyn zu sehen…quasi North-Africa-Connection – Brennpunkt Paris. Ein miesgelaunter, bärbeißiger Flic reibt sich auf im Kampf gegen einen verschworenen Familienclan, ohne dass der Film sich dabei zu weit aus dem Fenster lehnen müsste. Der Bulle von Paris bleibt aufregend-unaufgeregt und überzeugt gerade durch seine glaubwürdige, nachvollziehbare Linie als bald semi-dokumentarisch anmutender Polizeibericht.
Diese Spur wird mit zunehmender Laufzeit Stück für Stück verlassen, sobald die persönliche Ebene der Figuren immer weiter die Handlung für sich einnimmt. Stein des Anstoßes und somit die klassische Femme Fatale verkörpert die dafür augenscheinlich viel zu unauffällige, harmlose, bald kindliche und dadurch trügerische Noria (Sophie Marceau, La Boum – Die Fete). Die bei einer Razzia festgenommene Freundin des Hauptverdächtigen steckt offenkundige bis über beide Ohren mit in der Sache, kommt jedoch ohne zwingende Schuldbeweise wieder auf freien Fuß. Mehr oder weniger beiläufig nähren sie und Magnin sich an, obwohl sein ansonsten glasklare, untrügliche Instinkt ihn davor warnen müsste. Zu offensichtlich manipuliert die junge Frau alles und jeden in ihrer Umgebung, zieht immer wieder ihren Kopf durch ein konsequent aufrechterhaltenes Lügengerüst aus der Schlinge, kennt weder Freund noch Feind, nur ihren eigenen Vorteil. Das ausgerechnet dieser knallharte Jagdhund ohne erkennbare Skrupel ihr bald mit Haut und Haar verfällt und sogar bereit ist alles zu verraten, wofür er zuvor ohne Rücksicht auf Verlust gekämpft hat, scheint wie ein radikaler Bruch an der Grenze zur Unglaubwürdigkeit.
Doch letztlich ist es nur das Niederreißen eines aufgebauten Schutzwalls, hinter der sich ein Mensch auf der Suche nach Zuneigung und Liebe verbirgt, dem dies zum Verhängnis wird. Magnin scheint ein misogyner Macho und wütender Eisklotz zu sein, kompensiert damit jedoch nur seine Einsamkeit und das fehlende Gefühl, geliebt und geborgen zu sein. Die perfekte Tarnung, nur nicht für die noch besser getarnte Sirene, das gefundene Fressen für sie. Maurice Pialat schwenkt vom akribischen, schroffen und präzisen Flic-Film schleichend um zu einem entblößenden Noir-Melodram, dessen Umbruch eventuellen Erwartungshaltungen vor den Kopf stoßen könnte. Am Ende verhält sich hier niemand mehr so, wie man es anfangs noch erwartet hätte, der Film bekommt eine ganz andere Richtung. Er erfordert somit auch ein gewisses Maß an Geduld, Anpassungsvermögen und auch Reflektion, denn einfach ist dieser schwermütige Brocken in seinem Stilbruch nicht. Auch nicht so gut, wie er vielleicht gerne wäre. Aber insgesamt zweifelllos interessant.
Fazit
Ungewöhnliche Mischung aus nüchternem Crime-Thriller und hintergründiger Charakterstudie, der es sicherlich am Feintuning fehlt und in seinem stilistischen Bruch etwas holperig daherkommt. Die Intention stimmt jedoch und fachlich gibt es nichts zu beklagen: Gérard Depardieu strahlt eine unfassbare Präsenz aus (auch noch mit Normalgewicht); la Marceau trotz furchtbarer 80er-Frisur zuckersüß wie eh und je und ungewohnt ambivalent; die pessimistische, fatale und verlorene Grundstimmung kann der Film ansprechend transportieren. Nicht unbedingt uneingeschränkt empfehlenswert, aber nicht weit entfernt.
Autor: Jacko Kunze