7.7

MB-Kritik

Der Clan, der seine Feinde lebendig einmauert 1971

Drama, Crime – Italy

7.7

Franco Nero
Martin Balsam
Marilù Tolo
Claudio Gora
Luciano Catenacci
Giancarlo Prete
Arturo Dominici
Michele Carmine
Adolfo Lastretti
Nello Pazzafini
Calisto Calisti
Wanda Vismara
Adele Modica
Dante Cleri
Roy Bosier
Giancarlo Badessi

Inhalt

Ein vor gerade mal zwei Tagen aus einer Nervenheilanstalt entlassener Mann versucht als Polizist verkleidet, den mächtigen Bauunternehmer Lomunno zu töten. Dieser entgeht dem Anschlag, dafür kommen mehrere seiner Leibwächter und der Attentäter selbst ums Leben. Der neue Staatsanwalt Traini und Hauptkommissar Bonavia ermitteln in dem Fall, hinter dem viel mehr zu stecken scheint als nur der Racheakt eines geistig Verwirrten.

Kritik

Was für ein sagenhafter deutscher Titel! Der jedoch falsche Erwartungshaltungen schüren dürfte. Der Clan, der seine Feinde lebendig einmauert, das klingt nach einem brettharten Poliziottesco, der das Herz von Fans des italienischen Exploitation-Kinos schneller schlagen lässt. Die deutsche Titelschmiede schießt damit jedoch eindeutig übers Ziel hinaus, denn Filme eines Damiano Damiani (Der Tag der Eule) haben in der Regel deutlich mehr zu bieten als rüde Genre-Kost. So auch in diesem zwar wenig zimperlichen, allerdings keinesfalls reißerischen Meisterstück des politischen Thrillers, das in seiner schonungslosen Darstellung gesellschaftlicher und politischer Missstände bald härter und hoffnungsloser zubeißt als die meisten Filme seines Themengebiets.

Der gescheiterte Mordversuch an dem prominenten Baulöwen Lomunno (Luciano Catenacci; Zwei außer Rand und Band) ruft den noch frischen und ehrgeizigen Staatsanwalt Traini (Franco Nero; Lasst uns töten, Companeros) auf den Plan. Gemeinsam mit dem längst desillusionierten Kommissar Bonavia (grandios: Martin Balsam; Ein Köder für die Bestie) nimmt er die Ermittlungen auf, die schnell in eine andere Richtung führen als die offensichtliche Theorie eines verwirrten, von Rache getriebenen Einzeltäters. Warum wurde der Attentäter nur zwei Tage vorher in einer Nacht-und-Nebel-Aktion plötzlich aus einer psychiatrischen Klinik entlassen, obwohl er eindeutig nicht als geheilt beurteilt werden konnte? Und was hat Kommissar Bonavia damit zu tun, der schon seit Jahren versucht, den durch Beziehungen auf höchster politischen Eben praktisch immunen Lomunno das Handwerk zu legen, bei dem Korruption nur das kleinste Übel darstellt. Schnell erkennt Traini, dass sein Partner selbst über beide Ohren in diesem Fall drinsteckt. Jedoch auch, dass diese tiefst unmoralische, mit der Berufsehre nicht zu vereinbarenden Verzweiflungstat nur der letzte, verzweifelte Versuch eines Mannes ist, der Gerechtigkeit mit dem Brecheisen irgendwie zum Erfolg zu verhelfen.

Der nicht mehr lange, sondern verkümmerte Arm des Gesetzes hat in einem durch Korruption verseuchten Land das Greifen verlernt, wenn man sich an die Regeln gefesselt sieht. Damiani schildert mit fast dokumentarischer Präzision und dennoch hohem Tempo das ethische Dilemma zweier Gesetzeshüter, die eigentlich auf der gleichen Seite stehen und sich doch untereinander bekämpfen müssen, währen der wahre Feind weiter seine schmutzigen Strippen zieht und seine Unantastbarkeit mit aller skrupellosen Härte deutlich unter- bzw. einmauert. Während der Eine nicht gewillt ist, das Regelwerk der guten Sache unterzuordnen und brav seine Pflicht erfüllt, ist der Andere längst zu der Überzeugung gekommen, dass sich Feuer nur mit Feuer bekämpfen lässt. Und das man bereit sein muss, dem Ziel alles zu opfern. In einer brillanten Szene rückt Damiani diesen Konflikt des Films fast beiläufig ins rechte Bild: Nach einem hitzigen Wortduell vertauschen die beiden Protagonisten beinah ihre Wagen, die sich zum Verwechseln ähnlich sind. Eigentlich sitzen sie auch beiden im gleichen Boot bzw. Auto, nur nicht im gleichen, obwohl es so sein müsste. Die Rivalität findet an der falschen Stelle statt. Die Wurzel des Übels liegt ganz wo anders, hat die Gesellschaft jedoch bereits viel zu tief durchwuchert, als dass sie so einfach auszumerzen wäre.

Der Clan, der seine Feinde einmauert seziert mit bitterem, aber keinesfalls unangebrachtem Zynismus eine Problematik, von der sich Italien auch heute noch nicht freisprechen lässt. Ein vergiftetes System, in dem das organisierte Verbrechen die Fäden in der Hand hält und seine Vormachtstellung auch deshalb immer weiter ausbauen kann, da sich die Aufständischen in diesem dicht gewobenen, staatlich geschützten Netz bei ihrer Sisyphusarbeit nur die Beine ausreißen…oder es sogar gegenseitig tun müssen. Mit einer schaurigen Eiseskälte vorgetragen, Dialog-stark, hervorragend gespielt und inszeniert gelingt Damiano Damiani einer der wohl wichtigsten Sub-Genre-Film seiner Zeit, der so intelligent, bitter und unfassbar konsequent daherkommt, dass einem der Kloß nur ganz langsam den Hals runterrutscht. Das Fundament einer scheinheiligen, von mafiösen Strukturen verseuchten Gesellschaft wird wortwörtlich auf Leichen errichtet, bevorzugt auf denen der Mutigen, nach denen hinterher kein Hahn mehr kräht.

Fazit

Eine düstere Gesellschaftsstudie voller unbequemer Wahrheiten, der Damiano als hochspannenden und ungemein packenden Thriller einen exzellenten Rahmen verleiht. Böses, fast schon nihilistisch-pessimistisches Politkino, das trotz einer gewissen, angebrachten Nüchternheit niemals trocken wirkt. Im Gegenteil, diesen enormen Impact könnte selbst der zünftigste, waschechte Poliziotteso nicht erzeugen.

Autor: Jacko Kunze
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