Inhalt
Der alternde amerikanische Hotelbesitzer Paul und die wesentlich jüngere Jeanne treffen durch Zufall aufeinander. Sexuell voneinander angezogen, beginnen sie eine leidenschaftliche und hemmungslose Affaire, die jedoch auf der gegenseitigen Vereinbarung beruht, nicht über ihr eigentliches Leben zu sprechen. Als er dieses Abkommen bricht und ein „normales“ Zusammenleben vorschlägt, verliert für Jeanne die Beziehung ihren Reiz...
Kritik
Gerade einmal zwei Jahre nach seinem Meisterwerk „Der große Irrtum“ schuf Bernardo Bertolucci mit „Der letzte Tango in Paris“ einen Film, der damals für reichlich Diskussionsstoff sorgte. Ein Skandalfilm, dem ein minderwertiges Frauenbild und inakzeptable Sexszenen vorgeworfen wurden (mehr dazu: Bilder des Zerfalls). Das ist insofern schade, als dass der Film durch diesen Ruf oftmals bereits nach oberflächlicher Betrachtung als provokativer Kunstporno abgetan wurde und gar nicht der Versuch zu Stande kam unter seine Oberfläche zu tauchen, denn darunter verbirgt sich eine behutsam inszenierte Charakterstudie, die ein komplexes Gestrüpp aus Leid, Schmerz, Unterdrückung und der Flucht vor alledem thematisiert. Glücklicherweise hat sich der Film heutzutage weitestgehend von seinem Ruf gelöst und wird als essentieller Teil der Filmgeschichte angesehen.
„Der letzte Tango in Paris“ ist ein Film der Gegensätze. Die beiden Protagonisten führen augenscheinlich zwei völlig unterschiedliche Leben, doch teilen sie sich gemeinsam noch ein weiteres, fern der Öffentlichkeit verbringen sie ihre Stunden in einer kleinen Wohnung, auch hier ist ihre Zweisamkeit von Gegenteilen geprägt. Ein leerer Raum, zugezogenen Vorhänge, nur eine Matratze liegt auf dem Boden. Voneinander abgewandt beginnen Paul (Marlon Brando, „Der Pate“) und Jeanne (Maria Schneider, „Beruf: Reporter“) sich auszuziehen. Schnitt. Sie liegen sich nackt in den Armen, ihre Berührungen sind zärtlich, doch sie blicken aneinander vorbei. Er ist Amerikaner, 45 Jahre alt und seine Ehefrau hat sich kürzlich selbst das Leben genommen, sie ist eine 20-jährige Französin, lebt fröhlich vor sich hin und hat mit Tom (Jean-Pierre Léaud, „Sie küssten und sie schlugen ihn“) einen jungen und gutaussehenden Freund. Die heruntergekommene Wohnung scheint ein Zufluchtsort zu sein, für wenige Stunden hört die Welt außerhalb auf zu existieren. Doch beide wissen, dass dieses Leben keine Zukunft hat und bald beginnt die errichtete Fassade zu bröckeln.
In ihrem Zufluchtsort gibt es einfache Regeln, keine Namen, keine privaten Informationen, nichts was eine Verbindung in die Welt außerhalb dieser Wohnung darstellen könnte. Es wirkt wie der verzweifelte Versuch die Realität auszusperren, ihr zu entkommen, wenn auch nur für wenige Stunden, ein Ort, um sich von all dem Schmerz und der Unterdrückung durch die Gesellschaft zu distanzieren. Für Paul ist es der ausweglose Versuch nach dem Tod seiner Frau, die er nie wirklich verstanden, geschweige denn geliebt hat, Lust und Leidenschaft zu verspüren, er will sich selbst beweisen, dass er noch, beziehungsweise überhaupt, dazu im Stande ist. Marlon Brando verkörpert diesen gebrochenen Mann mit einer Mischung aus unterschwelliger Aggression, sehnsüchtiger Zärtlichkeit und einem gewissen Grad an Ziellosigkeit, er will schlichtweg entkommen, von der Gesellschaft, wie er denkt, doch letztendlich ist er selbst das Problem und deswegen auch der Grund warum er nicht im Stande ist etwas zu ändern.
Doch auch Jeanne wird ausreichend Zeit eingeräumt, hier von einem rückständigen Frauenbild zu sprechen erscheint schlichtweg falsch. Es ist die Geschichte einer jungen Frau, die ihrem Alter entsprechend von der Welt überfordert zu sein scheint und zwischen den Extremen ihres (Liebes-)Lebens zu zerreißen droht. Dabei scheint sie von beiden Seiten ausgenutzt zu werden, Tom dreht einen Film über sie und rückt damit ihre Person – Vergangenheit wie Gegenwart – in den Fokus, während sie bei Paul das genaue Gegenteil, eine allumfassende Anonymität, erfährt. Doch letztlich ist sie es, die sich von beiden Seiten losreißt, sich befreit, nachdem sie nicht nur benutzt wurde, sondern auch benutzt hat, sich bei beiden Männern jeweils das geholt hat, was ihr vom anderen verweigert wurde. Letztlich ist „Der letzte Tango in Paris“ also weniger das Psychogramm einer Beziehung, sondern vielmehr die Analyse zweier Individuen.
Es sind jedoch nicht nur die Schauspieler vor der Kamera und die feinen Mechanismen des Drehbuches, die bei diesem Film so wunderbar funktionieren. Regisseur Bernardo Bertolucci scheint als Erbauer dieses Konstrukts auch stets die filmischen Mittel zu finden, um seine Vision formal in die Köpfe der Zuschauer zu brennen. Eine klare Bildsprache, geprägt von einem Spiel aus Licht und Schatten und einer eher zurückhaltenden Kamerabewegung. Oftmals sehr ruhig gefilmt macht Bertolucci ausreichend Platz für seine Figuren, oftmals sind nur sie es, die sich bewegen, die Kamera wartet geduldig auf ihren Einsatz und wenn sie sich dann doch bewegt wirkt es endgültig und intensiv.
Fazit
Obwohl sich „Der letzte Tango in Paris“ fast 45 Jahre nach seinem Release weitestgehend von seiner Rolle als Skandalfilm rehabilitiert hat, gibt es noch immer Zuschauer, die den Film nach rudimentärer Betrachtung als Schmuddelfilm abtun. Das ist schade, denn unter seiner Oberfläche schlummert ein tiefgreifendes und überaus fein formuliertes Porträt zweier Menschen, die die verzweifelte Flucht aus einer Welt voller Schmerz und Unterdrückung antreten und dabei selbst unterschiedlicher nicht sein könnten. Ein sowohl vor als auch hinter der Kamera meisterlich gemachter Film.
Autor: Dominic Hochholzer