Inhalt
Was auf den ersten Blick wie die baufällige Ruine einer Badeanstalt aussieht, nennen die Einwohner von Varna nur "die Grube". Die Dokumentation versucht sich an einem filmischen Abriss der bulgarischen Gesellschaft, deren Unterschicht hier regelmäßig zusammenkommt.
Kritik
Es gibt keinen schöneren Anblick als das Becken mit Mineralienwasser und eine See mit Schwänen! Selbige Schwäne wippen gleich gefiederten Bojen auf den eiskalten Wellen an Varnas Strandbad. Das ist noch nicht einmal ein richtiges Strandbad, bloß eine mit maroder Betonmauer abgegrenzte Grube. Nicht irgendeine Grube. Die Grube! Eine Institution des einstmals gediegenen Kurorts, Treffpunkt eines angestammten Seniorenklüngels und Fixpunkt von Hristiana Raykovas Dokumentarbeitrag zur Berlinale Perspektive Deutsches Kino. Das Beckenwasser dümpelt brackig, doch der Dauergast, der wie ein Animateur des jämmerlichsten Spas der Welt den kostenfreien Warmwassertrog anpreist, lobt es als gesundheitsfördernd. Für das soziale Klima ist es das scheinbar auch.
Bisweilen gleicht das wackelige Regiedebüt dem Titelort: ein kurioses Etwas, das nur ins Herz schließen kann, wer eine persönliche Verbindung dazu hat. Bei der Filmemacherin ist das eindeutig der Fall; nur vermag sie dieses Gefühl nicht zu vermitteln. „Die“ sind auf der Leinwand fast ausschließlich Männer. Zwar zeigt ein einleitender Bilderbogen auch Frauen unter den Badenden, doch das Becken ist eindeutig ein Männerort. Ein Relikt einstmals in öffentlichen Bädern vorgeschriebener Geschlechtertrennung? Folge von Übergriffen? Entsteht der Eindruck ausschließlich in der filmischen Wiedergabe? Das erscheint angesichts der abwechslungsarmen Skizzen einzelner Stammgäste durchaus möglich. Die eigenwillige Hommage Ort bleibt beschränkt wie das Becken.
Für die kameradschaftlichen Interviews wählt die Dokumentarfilmerin ausschließlich Männer. Alle erzählen austauschbare Geschichten von amourösen Eroberungen und bescheidenen wirtschaftlichen Plänen. Oft hört sich die wohl keiner an, so bereitwillig präsentieren sich die Vielbader. Die Grube ist für sie preisgünstiges Pendant zur Kneipe: Dort sitzt, wer nichts zu tun hat (was bei den Protagonisten der Normalfall scheint), palavert und streitet. Etwa darüber, wie die Grube vor der drohenden Kommerzialisierung bewahrt werden kann. Ein Eintrittsgeld können sich die meisten Gäste nicht leisten. Doch weder staatliche Mechanismen noch die soziale Misere, die vereinzelt hervortreten, erkundet der knappe filmische Sketch, der kaum über den Beckenrand hinausblickt.
Fazit
Ein schäbiger Gesellschaftsort und dessen kauziger Klientel sind dankbare Aufhänger eines holprigen Erstlingswerks, das ähnlich den aufmerksamkeitssehnsüchtigen Protagonisten an Selbstfokussierung und Genügsamkeit scheitert. An den breit gefächerten sozialen und wirtschaftlichen Problemthemen, für die der Titelort buchstäblich zum Sammelbecken wird, schaut die Kamera vorbei. Statt eines aufschlussreichen Querschnitts durch eine im Wandel begriffene Gesellschaft gibt es behäbige Prekariatsromantik.
Autor: Lida Bach