Inhalt
Die 15jährige Sophie flüchtet aus dem strengen Regiment eines katholischen Erziehungsheims. Kaum auf den Straßen Münchens fällt das Mädchen in die Hände schmieriger Zuhälter, die sie für ein paar Mark wie Vieh verkaufen.
Kritik
Nach der unschuldig-fröhlichen Heimatfilmwelle während des Wirtschaftswunders, definierte sich das deutsche Kino Ende der 60er Jahre völlig neu. Zunächst noch halbwegs anständig und angepasst mit Karl May- und Edgar Wallace-Verfilmungen (obgleich so was im Vergleich zu vorher ja schon bereits als anstößig galt), wurde es mit dem Übergang ins nächste Jahrzehnt kurzzeitig ziemlich wild. Aufstrebende, unabhängige Filmemacher wie Werner Herzog (Auch Zwerge haben klein angefangen), Rainer Werner Fassbinder (Katzelmacher) oder Roland Klick (Deadlock) sorgten für frischen und aneckenden Wind im Autorenkino, im Gegenzug dazu wurden aber auch Softerotik- und Sexfilme plötzlich massentauglich. Im Jahr 1970 war Schulmädchen-Report: Was Eltern nie nicht für möglich halten mit unfassbaren 7 Millionen Kinozuschauer der mit weitem Abstand erfolgreichste Film in Deutschland (auf Platz 3 übrigens: Oswalt Kolle: Dein Mann, das unbekannte Wesen mit 3,5 Millionen Zuschauern, nur knapp geschlagen von Asterix und Kleopatra). Die Reihe erhielt bis 1980 sagenhafte 12 Sequels (dagegen ist The Fast and the Furious eine echt lahme Schnecke) und war stellvertretend für einen seltsamen Trend. Auf der einen Seite galt die Bundesrepublik im internationalen Vergleich immer noch als relativ bieder und die Kluft zwischen Erzkonservativen und Alternativen schien riesig groß, dennoch waren solche freizügig-lüsternen Fummelstreifen die absoluten Kassenschlager. Was wohl eher für eine sehr scheinheilige Doppelmoral seitens der ach so braven Mittelschicht sprach.
Genau in dieser aufrüttelnden Zeit brachte der damals 34jährige Gustav Ehmck – genau wie die Kollegen Herzog, Fassbinder oder Klick auch der „Münchner Schule“ zuzuordnen – Die Spalte in die (Bahnhof)Kinos und erweckte wohl nicht nur aufgrund des eigenwilligen Titels wie der groben Inhaltsangabe den Eindruck, dass es sich hier um einen weiteren „Aufklärungsfilm“ handeln würde, an dem sich Opa Heinz und Onkel Erwin heimlich die Hosen reiben können. Ehmck – der wenige Jahre später seine größten Erfolge übrigens mit Der Räuber Hotzenplotz & Neues vom Räuber Hotzenplotz erleben sollte – betonte später, dass er den Film ausdrücklich nicht mit einem reißerischen Titel versehen wollte, in dem „Sex“ oder „Prostitution“ erwähnt würden, was vermutlich noch mehr Leute aus genau diesem Grund in die Kinos gelockt hätte. Und bei Betrachtung dieses Films mag man dem tatsächlich Glauben schenken, denn auch wenn hier mir expliziter Nacktheit nicht gespart wird und das womöglich dem Ein oder Anderen fürs fröhliche Lachsbeizen ausreichen könnte, diesen Zweck verfolgt Die Spalte eindeutig nicht. Er ist auch kein Aufklärungsfilm und ebenso weit weg entfernt von Arthaus. Mehr scheint es wirklich wie ein Hybrid aus Exploitationkino und dem Schaffen von z.B. eines Rainer Werner Fassbinder, dem es trotz seiner ungehobelten und sehr direkten Darstellung sichtlich daran gelegen ist, wirklich eine Aussage zu treffen.
Die Darsteller wirken allesamt wenig professionell, die oftmals verwendete Nachsynchronisation teilweise regelrecht amateurhaft und das Drehbuch ist alles andere als subtil, clever konzipiert oder kann gar als argumentativ gut überlegte Debatte über soziale Missstände interpretiert werden. Dafür ist das Ganze viel zu roh, aufbrausend und gewollt subjektiv, aber gerade dadurch erzielt Die Spalte exakt das, woran es ihm am meisten gelegen sein dürfte: einer Authentizität und Wirkung, die ihm kaum mit vollumfänglich professioneller Vorgehensweise gegeben wäre. Und damit erzeugt Gustav Ehmck letzlich mehr Abschreckung, als es vielleicht die meisten (wirklichen) Aufklärungsfilme schaffen könnten. Mit einfachen Mitteln bringt er die pure Entmenschlichung von Zwangsprostitution auf die Leinwand und ist damit vermutlich viel näher an der Thematik, als es damals sonst jemand gewagt hätte. Als Sex auf der Leinwand etwas Lukratives war und nicht mit den Schattenseiten in Verbindung gebracht werden sollten. Der gleichzeitige Rundumschlag gegen das angeprangerte Versagen bzw. sogar die Mitschuld von Staat und Justiz ist dabei ähnlich wütend aus dem Bauch heraus, beruht aber – wie die Handlung nach eigenen Angaben selbst – auf Tatsachen, die sich wohl nicht nur auf Einzelfälle beschränkten. Das ist nicht brillant oder makellos, dafür ungemein effizient. Mehr kann unter diesen Umständen nicht ernsthaft erwartet werden.
Fazit
Ein mutiger, spannender Film, wobei letzteres nicht unbedingt auf den Plot gemünzt ist. Mehr auf die gesamte Art und Weise. Irgendwo in dem Wust aus Anspruch, Genre und Sexploitation findet „Die Spalte“ eine Nische, in der man auch ganz schnell auf Nimmerwiedersehen verschwinden könnte. Eine Wiederentdeckung ist dieses scharfkantige Stück deutschen Rand-Kinos unbedingt wert. Gerade in Zeiten, in denen der deutsche Film (schon wieder) nur auf seine gut promoteten Schandflecke reduziert wird. Aber daran ist man seit Jahrzehnten wirklich selber schuld.
Autor: Jacko Kunze