Inhalt
Die Ukraine ein Jahr vor dem Zerfall der Sowjetunion. Kira ist 17, angehende Schauspielerin und lebenslustig, was sie vor dem Spiegel im eigenen Zimmer zu „Venus“ von Bananarama nur zu leicht unter Beweis stellt. In jener Zeit, die sich auf Ukrainisch „Perebudova“ – Umbau – nennt, sind bunte Nylonseidenstrümpfe der letzte Schrei, die Generation der Eltern feiert mit Kaviarbrötchen und Kristallgläsern zwischen nicht ganz konformistischer Malerei, und die Bohème fragt sich, wo man günstig Dollar kaufen kann.
Kritik
Wenn die 17-jährige Heldin Tonya Noyabrovas autobiografisch inspirierten Jugenddramas in einer frühen Szene zu Bananaramas „Venus“ ihr eigenes Spiegelbild anschmachtet und leidenschaftlich küsst, ist klar, wie die Antwort auf die Titelfrage für sie lautet. Kira (Karyna Khymchuk) liebt sich und das über alle Maßen. Da kann die Welt zusammenbrechen. Oder zumindest die Sowjetunion und die Ehe ihrer Eltern, die eben noch einvernehmlich Hochzeitstag feierten. War die Eintracht nur vorgegaukelt? Wenn nicht, warum die plötzliche Entzweiung?
Der Regisseurin und Drehbuchautorin ist das so gleichgültig wie ihrem Leinwand-Alter-Ego. Das schmollt, weil Mama Vira (Natalia Lazebnikova) ihr Freundinnenbesuch verbietet und schluckt daher eine Überdosis Tabletten. Die inszenatorische Ironie dieses Moments ist bizarr: Die fiktive Variation Noyabrovas buhlt mit einem vorgetäuschten Suizidversuch um Aufmerksamkeit, gleichgültig gegenüber den Auswirkungen auf ihre Mitmenschen. Die reale Noyabrova macht Kira derart zum Zentrum der Aufmerksamkeit, gleichgültig gegenüber den fatalen Vorurteilen, die sie damit über Suizid und Todeswunsch bestätigt.
Erwartungsgemäß realisiert sie nie die pathologischen Züge Kirasr ätzender Egomanie. Stattdessen wird deren Rücksichtslosigkeit normalisiert, während ihre kindischen Konflikte melodramatisch überhöht werden. Im notgeilen Notarzt Misha (Oleksandr Zhyla) findet die Tochter eines gutsituiert und vorteilhaft vernetzten Regisseurs (Maksim Mikhaylichenko) ein neues Publikum, bei dem sie ungebeten einzieht. Mangelversorgung, Zukunftsangst und Lebensmittelknappheit ihres sozialen Umfelds sind für die mit teuren Importartikeln verwöhnte Kira nur ein Witz, über den jetzt, 33 Jahre später, das Kinopublikum lachen soll.
Fazit
Vom musealen Szenenbild über das Schauspiel bis zur Story ist alles in Tonya Noyabrovas histrionische Hommage an ihre Jugend in der Ukraine um 1990 bis zur Karikatur überzogen. Wie passend, dass eine nur auf sich selbst fixierte Person wie die jugendliche Protagonistin sich als Erwachsene zur Heldin ihres eigenen Leinwanddramas stilisiert. Das dramaturgische Bagatellisieren der Auswirkungen des politischen Wandels, der den biografischen Banalitäten Relevanz verleihen soll, zementieren die spiegelgleiche Selbstfixierung vor und hinter der Kamera.
Autor: Lida Bach