Inhalt
Bei einem Familienausflug zum Ayers Rock wird das neun Wochen alte Töchterchen der Chamberlains von einem Dingo aus dem Zelt in die Wüste geschleppt. Die groß angelegte Suche nach dem Kind bleibt erfolglos, lediglich die blutverschmierte Bekleidung wird gefunden. Die Familie trauert unter großer, öffentlicher Anteilnahme, doch dann werden Zweifel am Wahrheitsgehalt der Geschichte laut. Ein Mediengewitter folgt, an dessen Ende sich die Mutter wegen Mordes an ihrem eigenen Kind vor Gericht wiederfindet.
Kritik
Bei den Namen Menahem Golan & Yoran Globus klingelt es nicht nur bei in den 80er Jahren großgewordenen Filmfreuden und sofort kommen die großen Krawall und Radau-Kracher ihres legendären Studios CANNON in den Sinn. Von zahlreichen Chuck Norris- (Delta Force), Michael Dudikoff- (American Fighter) oder Charles Bronson (Tattergreis)-Vehikeln (Death Wish 3 – Der Rächer von New York) über launige Edel-Trash-Sausen wie Die Barbaren, Lifeforce – Die tödliche Bedrohung oder Over the Top, bis hin zu echten Hits wie Express in die Hölle, Highlander – Es kann nur Einen geben oder The Texas Chainsaw Massacre 2. Dabei wird meist vergessen, dass ab und an auch wirklich ernsthafte Stoffe mit verblüffender Seriosität behandelt wurden. Zugegeben sehr, sehr selten. Neben der schwermütigen Charles Bukoswski-Trinker-Ballade Barfly mit Mickey Rourke zählt Ein Schrei in der Dunkelheit zu diesen seltenen Exemplaren. An den Kinokassen zwar gefloppt, konnte sich das Werk von Regisseur Fred Schepisi (Das Leben – Ein Sechserpack) aber über viel positive Aufmerksamkeit seitens der Kritik erfreuen. Nominiert für diverse Oscars, Golden Globes und sogar die Goldene Palme blieb am Ende auch „nur“ die Auszeichnung in Cannes für Meryl Streep (Kramer gegen Kramer) übrig, aber allein das eine CANNON Produktion überhaupt zu diesen Ehren kommt, ist schon außergewöhnlich.
Zugrunde liegt eines der größten Medienspektakel der australischen Geschichte, welches Anfang der 80er auch weltweit Aufmerksamkeit erregte. Der Fall eines angeblich von einem Dingo aus einem Zelt verschleppten Neugeborenen. Für die Eltern Michael (Sam Neill, Jurassic Park) – Pastor der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten – und Lindy Chamberlain (Meryl Streep) ein schwerer Schlag. Von der Presse groß aufgebauscht kennt bald jeder die Geschichte von Baby Azaria und die Chamberlains geben sich sehr bereitwillig, die Berichterstattung noch zu unterstützen. Auch das lässt die Stimmung irgendwann kippen. Das anfängliche Mitgefühl der Bevölkerung schlägt bei einigen in Zweifel an ihrer Version um. Zu seltsam präsentiert sich für sie besonders Lindy, die nach außen sehr nüchtern und beinah abgebrüht mit der Situation umgeht. Als diverse Medienvertreter dahinter eine Story wittern, wird eine Lawine in Gang gesetzt. Plötzlich stehen die Chamberlains am Pranger und müssen sich zahlreiche Detailfragen gefallen lassen, die sich nicht glasklar beantworten lassen. Anteilnahme verwandelt sich in Misstrauen und so wird bald Anklage wegen Mordes gegen Lindy erhoben, was auch die Öffentlichkeit massiv spaltet.
Ein Schrei in der Dunkelheit ist nicht nur eine völlig untypische CANNON Produktion, er verzichtet auch erfreulicherweise weitestgehend auf melodramatische Meinungsbildung und manipulative Sentimentalität. Tatsächlich kann dem Zuschauer zwischenzeitlich Zweifel an einem eigentlich glasklar anmutenden Sachverhalt kommen. Womit es dem Film vorzüglich gelingt, die sonderbare, beinah befremdliche Stimmung dieser modernen, auf medialer Ebene so bis dato selten erlebten Hexenjagd (im „privaten“ Sektor, also außerhalb von Politik oder Ähnlichem) glaubhaft und erschreckten nachvollziehbar in ihren unkontrollierbaren Eigendynamik begreifbar zu machen. Es mag absurd, bizarr und unmenschlich erscheinen, aber aus gewissen Perspektiven, angereichert mit nicht immer sauber recherchierten „Fakten“ zusätzlich angeheizt, ist die Entwicklung eben kein Hollywood-Produkt. Sehr sachlich und in sich schlüssig schildert Fred Schepisi diesen eigentlich unglaublichen Fall in seiner ganzen Tragweite und erschuf damit einen Film, der heute beinah noch mehr Relevanz besitzt als damals. Was seiner Zeit ein so selten erlebtes Phänomen darstellte, findet heutzutage oftmals tagtäglich im Alltäglichen, beinah „Kleinem“ statt, da es von der Masse gar nicht mehr in dem gesamten Ausmaß für den Einzelnen wahrgenommen wird. Was an Verleumdung und übler Nachreden online mit einer viel größeren Reichweite und oftmals ohne auch nur eine echte Kontrollinstanz so losgetreten werden kann, ist eigentlich kein schlimmeres Horrorszenario als das, was man hier geboten bekommt. Nur damals fiel es wenigstens (irgendwann) auf.
Fazit
Eine spannende, sachlich weitestgehend korrekte, hervorragend gespielte Aufarbeitung eines spektakulären Prozesses, anhand dessen sich viel über fragwürdige, justizielle Methoden, aber ganz besonders über die manchmal fatale Macht medial gesteuerter, öffentlicher Meinungsbildung ablesen lässt. Mit enormer zeitlicher Relevanz. Damals waren es „nur die“, heute sind wir es alle. Oder könnten es ganz einfach werden.
Autor: Jacko Kunze