Inhalt
Als Markus Imhoof, geboren 1941, ein kleiner Junge war, nahmen seine Eltern das italienische Flüchtlingskind Giovanna bei sich in der Schweiz auf. Doch die große Politik riss die Kinderfreundschaft auseinander. Die Erinnerungen daran veranlassen den Regisseur, sich mit der aktuellen europäischen Flüchtlingspolitik zu beschäftigen. Ein italienisches Marineschiff vor der libyschen Küste nimmt 1800 Bootsflüchtlinge an Bord. Keiner von ihnen hat die Chance, legal nach Europa zu kommen. Vom Schiff geht es in ein Flüchtlingslager mit einer durchschnittlichen Aufenthaltsdauer von acht bis 15 Monaten. „Wir versprechen ihnen nicht das Paradies, aber es wird jeden Tag besser“, sagt ein Helfer. Doch wer das Lager verlässt, für den bleibt oft nur Schwarzarbeit. Frauen, die zur Prostitution gezwungen sind.
Kritik
Vielleicht können wir eines Tages das Ich endlich hinter uns lassen, spekuliert Markus Imhoof (Der Berg) in seines zwiespältigen Eposé. Was weniger Bewusstsein für das Selbst und das eigene Handeln der Welt bringen soll, verrät der Schweizer Regisseur nicht. Kennt die Antwort womöglich Steve Jobs, dessen angebliche Sterbeworte Imhoof aus dem Off rezitiert werden, während auf der Leinwand ein animierter Globus rotiert? Was den Apple-CEO abgesehen von einem Banksy-Kunstwerk mit den Menschen, deren brutale Schicksale die Stützpfeiler des fehlfokussierten Prestige-Projekts sind, verbindet, bleibt unklar. Gerade das ist Absicht der narzisstischen Memoiren. Sie gaukeln Philosophie vor und liefert stattdessen bloß leere Sophisterei, die den gravierenden Mangel an Faktengehalt, Transparenz und Hintergründigkeit kaschieren soll.
Da es über die Arbeit der italienischen Marine, deren Bergungsarbeit stichpunktartig eingefangen wird, keine stichhaltigen Informationen gibt, die Verkettung von Schleppern, Staatsprogrammen und Mafia nie konkretisiert wird, die desolaten Situation der Asylsuchenden nie untersucht wird, lauschen wir noch mal auf Jobs. „Den Reichtum, den ich im Leben erlangt habe, kann ich nicht mit mir nehmen. Was ich mitnehmen kann, sind die von Erinnerungen, die von Liebe getragen werden.“ Solch blasierte und verlogene Entsagung weltlicher Güter ist unerträglich gegenüber Menschen, die alle Habe und noch mehr verloren haben. Mit auf Liebe basierenden Erinnerungen kann man sich auf einem überfüllten Schlauchboot ohne Trinkwasser nicht mal den Arsch abwischen. Höchstens im übertragenen Sinne.
Das Drama, um das es Imhof in Wahrheit geht, ist sein privates. Alte Familienfotos, vergilbte Briefe und Kinderzeichnungen erzählen von „seiner ersten Liebe“. Von dem italienischen Mädchen, das bei seiner Familie lebte, berichten die Hintergrunderzähler nur den Namen und wie sich ihr Körper verändert. Beider im Dialog verlesener Briefwechsel kreist um ihn. Giovanna ist genau wie die Flüchtlinge ein Vehikel, das seine Selbstinszenierung befördert. Auf dem Totenbett habe die jung Verstorbene seiner Familie noch deren Wohltat gedankt und geklagt, dass sie das nie zurückgeben könne. Die Verwertung ihrer Geschichte für einen lukrativen Beitrag im Berlinale Wettbewerb konnte sie offenbar nicht vorhersehen. Imhoofs erste Liebe war wohl die zu sich selbst.
Fazit
Das Leid geflüchteter Menschen, einst und heute, dient als Hintergrundkolorit einer melodramatisierten familiären Anekdote. Um der biografischen Episode Bedeutsamkeit zu geben, bettet Markus Imhof sie in eine der größten humanitären Katastrophen der Gegenwart. Diese Vermessenheit, gepaart mit einem eklatanten Defizit an Informationsgehalt, Positionierung und Transparenz gibt dem Titel eine unfreiwillige Mehrdeutigkeit. Das Eldorado vor dem Kameraauge ist Gewinn, an Renommee oder Geldmitteln. Die Verheißungen effizienter filmischer Einblicke in das System um die Flüchtlingspolitik entpuppen sich jedoch als trügerisches Märchen.
Autor: Lida Bach