7.2

MB-Kritik

Doch das Böse gibt es nicht 2020

Action, Drama

7.2

Baran Rasoulof
Mohammad Seddighimehr
Mohammad Valizadegan
Mahtab Servati
Mohammad Seddighimehr
Ehsan Mirhosseini
Pejvak Imani
Mohammad Valizadegan
Darya Moghbeli
Darya Moghbeli
Bardia Yardegari
Kaveh Ahangar
Reza Bahrami
Gholamhosein Taseiri
Parvin Maleki
Kaveh Ebrahim

Inhalt

Heshmat, ein vorbildlicher Ehemann und Vater, bricht jeden Morgen sehr früh auf. Wohin fährt er? Pouya kann sich nicht vorstellen, einen anderen Menschen zu töten, trotzdem bekommt er den Befehl. Javad ahnt nicht, dass sein Heiratsantrag nicht die einzige Überraschung für seine Geliebte an ihrem Geburtstag bleiben wird. Bahram ist Arzt, darf aber nicht praktizieren. Als seine Nichte ihn besucht, beschließt er, ihr den Grund für sein Außenseiterdasein zu offenbaren.

Kritik

Die Unmöglichkeit moralischer Integrität innerhalb eines inhumanen Systems, die Erosion persönlicher Entscheidungsfreiheit durch repressive Hierarchien und die weitreichenden Konsequenzen systematischer Korrumpierung sind übergreifende Themen Mohammad Rasoulofs (Lerd), die sein jüngstes Drama mit unbekannter Gradlinigkeit angeht. Kollaboration - deren Akzeptanz oder Verweigerung - ist verbindendes Motiv der vier Episoden. Jede von ihnen beleuchtet aus anderer Perspektive Gefahren, Konsequenzen und nicht zuletzt Notwendigkeit individuellen Widerstands gegen einen Staat, dessen Gewaltmacht der Regisseur und Drehbuchautor nicht nur auf kreativer Ebene erfuhr.

Aufführungsverbote seiner Werke, Zensur und ein Gefängnisaufenthalt für „islamfeindliche Propaganda“ haben seinen Berlinale-Wettbewerbsbeitrag nicht weniger kritisch gemacht. Im Gegenteil ist jeder der mit einem metaphorischen Titel belegten Geschichten zugleich Statement gegen die Todesstrafe als auch Appell an die iranische Bevölkerung - vor allem die im verpflichtenden Wehrdienst mit Exekutionsbefehlen konfrontierten jungen Männer - sich ihr zu widersetzen. Mit den schwerwiegenden sozialen, juristischen und familiären Folgen solcher Befehlsverweigerung behandeln die zweite und vierte der diagrammatischen angelegten Mosaiksteine.

Zusammen ergeben sie das niederschmetternde Bild einer im Teufelskreis kollektiver Täterschaft gefangenen Gesellschaft, deren Angehörige im Bewusstsein ihrer Mitschuld den Horror entweder komplett aus ihrem Alltag - etwa als fürsorgliche Familienväter wie Heshmat (Ehsan Mirhosseini) - ausblenden oder wie die Kompaniemitglieder des verzweifelten Pouya (Kaveh Ahangar) seine Gewissensnot vor einer auszuführenden Hinrichtung zu ersticken suchen. Denn umso mehr Mittäter, umso geringer die gefühlte eigene Schuld. Deren last wieg letztendlich unendlich schwere als die aller Repressalien idealen Protests.

Fazit

Vier in komplexer Weise ineinandergreifende Akte gewähren erschütternde Einblicke in die unauflösbaren moralischen Dilemmata und begründeten Zukunftsängste Irans junger und älterer Generation. Die Todesstrafe wird zum brutal realistischen Paradigma organisierter moralischer Verrohung. Sowohl deren unmittelbare Effekte als auch subtilen Symptome untersucht Mohammad Rasoulof in atmosphärisch und dramatisch komplementären Kapiteln voll differenzierter Symbolik und hintersinniger Systemkritik. Trotz ihrer geschlossenen Dramaturgie spannen die intimen Dramen einen gemeinsamen Handlungsbogen, der nicht einzelne Individuen verurteilt, sondern einen politischen Machtapparat.

Autor: Lida Bach
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