Inhalt
Porträt des einflussreichen deutschen Filmemachers Rainer Werner Fassbinder, der im Mai 2015 70 Jahre alt geworden wäre.
Kritik
Liest man sich Besprechungen zu Dokumentationen über großartige Persönlichkeiten der Menschheitsgeschichte durch, aus welchem Bereich auch immer sie entstammen mögen, dann muss man sich erst einmal durch unzählige Zeilen wühlen, in denen jene Persönlichkeiten noch einmal zur Exposition über den grünen Klee gelobt werden. Ein zwar altbackener, aber auf der anderen Seite keinesfalls verwerflicher Einstieg in eine Rezension und Auseinandersetzung mit der Persönlichkeit, um dem Leser ein gewisses Fundament dahingehend zu verleihen, in welch glühenden Sphären sich die jeweilige Dokumentationen eigentlich bewegt. Prekär wird es nur dann, wenn sich nicht nur die Kritik zur Einführung in (angemessenen) Lobeshymnen artikuliert, sondern auch die Dokumentation selbst schlichtweg damit abfindet, der Persönlichkeit pausenlos auf die Schulter zu klopfen. „Fassbinder“ Annekatrin Hendel veranschaulicht diesen despektierlichen Faktor beispielsweise ganz trefflich.
Man möchte den Fehler allerdings nicht bei der Regisseurin suchen, sondern vielmehr bei Juliane Lorenz, die nicht nur das Erbe von Rainer Werner Fassbinder („Die bitteren Tränen der Petra von Kant“) verwaltet, sie ist gleichwohl auch Kopf der Rainer-Werner-Fassbinder-Foundation, was nach und nach zum Bruch mit einigen langjährigen Weggefährten von Fassbinder geführt hat, wie zum Beispiel Ingrid Caven („Angst essen Seele auf“), Udo Kier („Breaking the Waves“) oder seinem Haus-und-Hof-Kameramann Michael Ballhaus, der später auch mit Martin Scorsese oder Robert Redford zusammenarbeitete. Diese bedeutenden Namen für das Schaffen von Fassbinder sind in „Fassbinder“ schlicht und ergreifend nicht existent, was schon einmal attestiert, dass Annekatrin Hendel hier niemals in der Lage ist, dem Zuschauer einen homogenen Überblick über das genialische Œuvre des Autorenfilmers zu ermöglichen: Viele Säulen wurden einfach herausgebrochen, „Fassbinder“ erscheint unvollständig und abgehetzt.
Selbstverständlich bekommt auch „Fassbinder“ sie vor die Kamera, die üblichen Verdächtigen wie Hanna Schygulla („Auf der anderen Seiten“) und Irm Hermann („Effi Briest“), die beide auf Fragen über ihr exzentrisches Rainerchen nur mit Sentiment reagieren. „Fassbinder“ ist tragischerweise ungemein tendenziös geraten und fertigt ein hagiografisches Bild des meisterlichen Querkopfes an, dem alle wohl am liebsten die Füße küssen wollten – damals wie heute. Es ist allerdings ein Armutszeugnis, ein so brisantes, polarisierendes und obsessives Leben, wie Rainer Werner Fassbinder es geführt hat, dahingehend zu verkürzen, dass man sich permanent darauf beruft, Fassbinder hätte quasi kein Privatleben gehabt: Wenngleich der Mann einmal gesagt haben mag, „Ich bin meine Filme“, muss es nicht gleichzusetzen damit sein, dass sein KOMPLETTES Leben, jeder Gedanke, jede Regung, jedes Extrem, durch die Sichtung seiner Filme zu dechiffrieren gewesen ist. Fassbinder war mit ziemlicher Sicherheit mehr. Und er war nicht nur der Engel ohne Flügel.
Fazit
Leider ist die Dokumentation „Fassbinder“ zu keiner Zeit brauchbar, um einen wirklichen Einblick in das Leben (oder die Kunst) des Rainer Werner Fassbinder geliefert zu bekommen. Hier ein eindimensionales Bild der deutschen Autorenlegende, die bereits im Alter von 37 verstorben ist, angefertigt, welches man in dieser Form vielleicht in Formaten mit einem rein boulevardesken Anspruch erwartet hättet. Wer glaubt, die gesamte Persönlichkeitsstruktur von Rainer Werner Fassbinder hätte sich bis in die letzte Pore in seinen Filmen widergespiegelt, der täuscht sich. So weit möchte „Fassbinder“ aber nicht gehen, weil er sich dann womöglich wagen müsste, Grauzonen aufzufächern.
Autor: Pascal Reis