Inhalt
Sie experimentiert beim Masturbieren gern mit Gemüse. Körperhygiene ist ihrer Ansicht nach weit überschätzt. Sie provoziert ihre Umwelt, indem sie ganz unmädchenhaft ausspricht, was andere nicht einmal zu denken wagen: Das ist Helen Memel! Helen ist eine Herausforderung für ihre geschiedenen Eltern - und wünscht sich doch nichts sehnlicher, als eine wiedervereinte Familie. Geborgenheit findet sie nur bei ihrer Freundin und Blutsschwester Corinna, mit der sie kein gesellschaftliches Tabu auslässt. Als Helen sich eines Tages bei einer missglückten Intimrasur verletzt, muss sie ins Krankenhaus. Dort ist sie nicht nur für Chefarzt Prof. Notz ein ungewöhnlicher Fall. Ihr ungestümer Witz und ihre Wahrhaftigkeit machen sie zu einer Sensation im ganzen Krankenhaus. Helen wittert die Chance, ihre Eltern am Krankenbett wieder zu vereinen und findet in ihrem Pfleger Robin einen Verbündeten, dem sie dabei gehörig den Kopf verdreht...
Kritik
Mit „Feuchtgebiete“ wagt sich Regisseur David Wnendt („Kriegerin“) an die Adaption des vielleicht erfolgreichsten deutschen Romans der letzten Jahre. Im Jahr 2008 gelang der Debütantin Charlotte Roche ein Überraschungserfolg, der sich 30 Wochen an der Spitze der Literaturcharts halten konnte. Der Erfolg kam nicht von ungefähr, Roche verursachte ein gewaltiges Medienecho indem sie Themen wie Genitalrasur, Körperhygiene und diverse Sexualpraktiken zum Gegenstand der Handlung machte. Doch spätestens mit der Verfilmung ihres Werkes zeigt sich, dass hinter dem kalkulierten Tabubruch mehr steckt, als pubertäre Provokation.
Ab der ersten Szene spielt Regisseur Wnendt mit der Erwartungshaltung des Zuschauers. Verspielt lockt er den Zuschauer mit den ersten Bildern in eine Falle, indem er eine Kniekehle wie einen Hintern aussehen lässt und entlarvt damit die eindimensionale Vorstellung des Zuschauers und ermuntert sie von nun an genauer hinzusehen. Auch im weiteren Verlauf wartet Wnendt mit allerlei visuellen Tricks auf, so lässt er den Zuschauer wenig später sogar in die fantastische Welt der gefräßigen Viren und Bakterien abtauchen, um die Absurdität des Hygienewahns zu verdeutlichen, gegen den Protagonistin Helen auf eigene Kosten rebelliert.
Die Geschichte selbst wird wie im Buch nicht chronologisch erzählt. Neben traumatischen Kindheitserinnerungen erhält der Zuschauer Einblick in das Sexualleben Helens und wird Zeuge des Verfalls einer Ehe. Dabei bedient sich Wnendt getreu der Vorlage ebenfalls immer wieder kleinen Schockmomenten und erspart dem Zuschauer somit nicht den Anblick von Gemüsesextoys und Blutungen aus allen erdenklichen Körperöffnungen. Doch im Gegensatz zum Buch steht hier nicht die reine Provokation im Vordergrund, vielmehr zeichnen diese Szenen ein schärferes Bild der Heldin und unterhalten den Zuschauer mit schwarzem Humor.
Überhaupt ist „Feuchtgebiete“ in erster Linie eine Komödie, die erst gegen Ende in ernstere Gefilde abdriftet. Der Humor ist allerdings sehr trocken und wird vermutlich Fans von Til Schweigers Komödien (u.a. „Keinohrhasen“) mit Sicherheit zu derb sein, denn selbst Kinder bleiben hier nicht verschont, wenn etwa Helens Mutter (Meret Becker) ihre Tochter absichtlich fallen lässt, um ihr klarzumachen, dass sie niemandem vertrauen darf. Doch gerade dieser Bruch mit den etablierten Humorkonventionen ist erfrischend und spannend anzusehen.
Bemerkenswert ist außerdem die darstellerische Leistung der Hauptdarstellerin Carla Juri, die mit viel Körpereinsatz die traumatisierte und rebellierende Helen glaubhaft darstellt. Natürlich ist sie kein richtiger Sympathieträger, zu impulsiv ist ihr Verhalten, zu „unnormal“ ihre Ansichten. Für den Zuschauer dient deswegen Robin (Christoph Letkowski) als Anker. Er ist Helens Gegenpol und begegnet ihr mit Neugier und beginnt im Verlauf der Geschichte sie zu verstehen, ähnlich wie der Zuschauer. Auch Axel Milberg („Tatort“) und Meret Becker („Quellen des Lebens“) hinterlassen als Helens Eltern einen bleibenden Eindruck. Die schrittweise Aufarbeitung ihrer verkorksten Ehe liefern Erklärungen für Helens Schwierigkeiten und bereichern die Geschichte.
Fazit
„Feuchtgebiete“ ist ein gelungener Mix aus schwarzer Komödie und Drama und dabei bei weitem nicht so zäh, wie die Romanvorlage. Wer sich nicht von den Schockbildern abschrecken lässt wird mit einem durchweg ungewöhnlichen Filmerlebnis belohnt, dass mit Sicherheit noch für Diskussionen sorgen wird.
Autor: Fabian Speitkamp