Inhalt
Die Geschwister Alice und Louis haben sich seit Jahrzehnten nicht gesehen. Die gefeierte Bühnendarstellerin und der geschieterte Dichter sind tief zerstritten. Als der bevorstehende Tod der Eltern sie wieder zusammenführt, brechen alte Wunden auf.
Kritik
Steckt da vielleicht eine Spur Ironie in einem Titel, der die Hauptfiguren beinah gehässiger das biologische Band definiert, das Alice (Marion Cotillard, Annette) und Louis (Melvil Poupaud, Sommer 85) so verhasst ist? Ähnlich Claire Denis’ Wettbewerbsbeitrag ist Arnaud Desplechins (Roubaix, une lumière) jüngster Film in Cannes über weite Strecken so exaltiert melodramatisch und wirklichkeitsfern, dass er an Satire grenzt. Nicht trotz, sondern gerade wegen des Übermaßes an verbalem Bombast und emotionalem Ballast bleibt die magere Story um eine Geschwisterfehde bemerkenswert banal.
Die Ursache der sich offenbar schon lange vor der zwanzigjährigen Funkstille zwischen dem selbstverliebten Dichter Louis und der erfolgreichen Theaterschauspielerin Alice hinziehenden Feindschaft, die sich in überzogenen Streitereien, familiären Intrigen und juristischen Eskapaden äußernden Feindschaft legen der Regisseur und seine Co-Drehbuchautorin Julie Peyr niemals offen. Warum sich die beiden eine peinliche Szene nach der anderen liefern, ist letztlich egal - der Inszenierung und dem Publikum, das keinerlei emotionalen Zugang zu den sich im Kreis drehenden Charakteren findet.
Eine leidlich interessanteste Erklärung wäre, dass beider histrionische Persönlichkeiten die dramatische Dynamik des Konflikts brauchen, um ihre innere Leere zu betäuben, wenn Alkohol, Drogen und Medikamente nicht mehr genügen. Nach diesem Muster scheint auch Desplechin süchtig nach den aberwitzigen Attacken, dien den Mangel an dramatischem Momentum überdecken sollen. Allerhand allegorische Anspielungen, großteils auf sein eigenes Werk, und das überzogene Schauspiel der Hauptdarstellenden werden zu unbeabsichtigten Katalysatoren der zügel- und ziellos Melodramatik zweier bornierter Bourgeoisie-Bälger.
Fazit
Alle biografischen und psychologischen Aspekte, die den filmfüllenden Familienzwist erhellen könnten, verwischt Arnaud Desplechin. Jene frustrierende Vagheit macht die absurden Auseinandersetzungen zweier Paradebeispiel pseudointellektueller Prominenz nur noch irrelevanter. Zu Distanzierung oder Dialog sind die oberflächlich verkörperten Titelfiguren nicht fähig. Die Erwähnung eines Geschwisters reicht aus, das andere zu vergraulen. Schon lange vor Ende der in die aalglatte Hochglanz-Optik einer Edel-Soap getauchten Szenen, die sich das pathetische Protagonisten-Paar fortlaufend macht, fühlt man ähnlich.
Autor: Lida Bach