Inhalt
1846, New York, das Viertel Five Points: immer wieder kommt es zu blutigen Unruhen zwischen den "Gangs" des Viertels, zwischen irisch-katholischen Immigranten und den übrigen protestantischen Einwohnern. In einem mörderischen Zweikampf ermordet Bill "The Butcher" Cutting seinen Gegenüber Vallon. Sein Sohn Amsterdam taucht unter, um 1862 wieder im Viertel zu erscheinen, daß inzwischen unter Bills Kontrolle steht. Cutting beginnt ein Vater-Sohn-Verhältnis mit Amsterdam, der Rache für seinen Vater will. Doch in Bills Nähe findet er auch eine ganz besondere Frau, Jenny Everdeane...
Kritik
These are the hands that built America...
Das Gerücht hält sich noch bis heute beständig, dass irgendwo in den Archiven des Miramax-Studio das nötige Material vor sich hin schimmelt, welches aus der Kinofassung von Gangs of New York endlich jene formvollendete Version knetet, die Martin Scorsese (Wie ein wilder Stier) hier von Anfang an vorschwebte. Der Kontext dieser Annahme führt natürlich nicht nur zu Scorsese, sondern auch zu Produzent und Firmenchef Harvey Weinstein: Obwohl der italoamerikanische Regisseur in Interviews immer wieder mit Nachdruck betonte, dass die offizielle Kino- respektive Kaufversion von Gangs of New York auch jene Schnittfassung darstellt, die er aus voller Überzeugung abgesegnet hat, wurde im Zuge der doch recht turbulenten Dreharbeiten immer wieder transparent, dass es klare Differenzen zwischen den beiden Männern gegeben haben muss.
Inzwischen kann man sich wohl weitestgehend sicher sein, dass die Hoffnungen auf eine erweiterte – man sprach dabei von fast vier Stunden – Fassung vergeblich sind. Zum Glück aber ist Gangs of New York auch in seiner gut 160-minütigen Laufzeit überaus gelungenen und stellt vor allem noch einmal in brachialgewaltiger Bildsprache unter Beweis, welch virtuoses Genie dem längst schon unsterblichen Martin Scorsese doch inne wohnt. Allein die Eröffnung ist bereits bahnbrechend: Da bereitet sich Priest Vallon (Liam Neeson, Michael Collins) im Namen der irischen Dead Rabbits auf den Kampf gegen William „The Butcher“ Cuttin (Daniel Day-Lewis, Der seidene Faden) vor. Seinen noch kleinen Sohn, Amsterdam (später Leonardo DiCaprio, Aviator), ermahnt der Gläubige, niemals das Blut von der Klinge zu wischen.
Was sich dann vor den Augen des Zuschauers abspielt, ist ein kompromissloser Blick in das dunkelste Jahrzehnt der amerikanischen Geschichte: Blut, Leid, Verderben. Und damit ist nicht nur das Gemetzel gemeint, welches sich Vallon und Cuttin liefern. Damit ist die gesamte Existenz auf der Lower East Side Manhattans, den Five Points, gemeint. Dem Butcher ist es indes gelungen, seinen Gegenüber vor den Augen seines hilflosen Jungen zu töten. Natürlich schwört dieser darauf Rache für den Tod seines Vaters, nachdem er sich 16 Jahre in einer Besserungsanstalt auf Roosevelt Island aufhalten musste. Dramaturgisch erweist sich Gangs of New York also als konventionelles Epos und umzirkelt die großen Themen, nicht nur in der Geschichte Amerikas, sondern in der Geschichte der Menschheit: Vergeltung, Liebe, Glaube, Angst, Krieg, Erlösung und Frieden.
Vor allem aber ist Gangs of New York eine Geschichte der tief in unserem Wesen verwurzelten Gewalt. Fernab vom Gründermythos, Siedlerromantik und dem Streben nach Glück, hat Martin Scorsese diesen Film in ein Amerika entlassen, deren nationales Bewusstsein nach dem 11. September stärker gefestigt werden wollte als je zuvor. Vielleicht erscheint es in Anbetracht dieser Umstände fast schon ein Stück weit nachvollziehbar, warum Gangs of New York so rigoros an den Kinokassen scheitern musste – ein Massenpublikum konnte der selbst aus New York stammende Filmemacher ohnehin noch nie für sich begeistern. Tatsächlich jedoch ist genau dies der Scorsese, den man unbedingt auf der Leinwand sehen muss: Die Ausstattungswut, mit der hier das historische New York eingefangen wird, ist phänomenal. Die Kulissen, die Kostüme, die Kamera, die Musik. Man kann das Blut, den Dreck, die Unmoral förmlich auf der Zunge schmecken.
Herzensprojekte – und Gangs of New York war eines von Martin Scorsese, für das er sich über mehrere Dekaden hinweg eingesetzt hat – sind allerdings prädestiniert dazu, um Herzen zu brechen. Und damit ist nun nicht nur die schwierige Produktion, das schwache Ergebnis am Box-Office oder die zehn Nominierung für den Academy Award, von denen in keiner Kategorie eine Trophäe gewonnen werden konnte, gemeint. Dass Gangs of New York nicht zu den cineastischen Siegeszügen im Schaffen von Martin Scorsese zählt, liegt daran, dass er ausschließlich gewöhnlichen Erzählmechanismen folgt – und sich in diesen auch noch sprunghaft formuliert. Gerade in der zweiten Hälfte überschlagen sich die Ereignisse regelrecht. Das Tempo wird dabei unvorteilhaft angezogen, was den Eindruck erweckt, dem Film würde die Zeit davon laufen, das Geschehen irgendwie sauber zu seinem Ende bringen zu können.
Ja, Gangs of New York wirkt ungelenk – und ist dennoch ein faszinierend-archaisches Sittengemälde geworden. Die Wirkungsmacht der Impressionen eines New Yorks im blutverkrusteten Reifeprozess sind berauschend und verweisen auf ein Land, welches sich noch schmieden lassen muss. Bis heute. In einem Zustand, in dem die Rechtlosigkeit herrscht, werden Probleme mit dem Messer gelöst; Meinungsverschiedenheiten ziehen Tote nach sich, die Five Points bilden das Tor zur Hölle – und William Cutting ist der dandyhafte Teufel, der es sich hier auf seinem Thron gemütlich gemacht. Als grausamer Schlachter, der alles ablehnt, was Amerika zu einem souveränen Land erheben könnte, wird er zur Symbolfigur eines gesellschaftliches Gefüges, in dem die Furcht das eindrucksvollste Machtinstrument ist. Wie Daniel Day-Lewis diesen Charakter interpretiert, wie er ihn seiner Rohheit und seinem Schmerz greift, ist schlicht und ergreifend atemberaubend.
Fazit
Ein überaus sehenswerter Film. Das scheint nun angesichts der Bedeutung, die Martin Scorsese dem Epos "Gangs of New York" beigemessen hat, ein etwas ernüchterndes Urteil zu sein. Tatsächlich ist das Herzensprojekt der italoamerikanischen Regielegende nicht fehlerfrei, was folgerichtig die Forderungen nach einem Director's Cut, den wir wohl nie bekommen haben, aufkommen lassen. Dramaturgisch ist "Gangs of New York" konventionell, erzählerisch vor allem in der zweiten Hälfte lückenhaft. Dennoch erweist sich der Film als wahrlich bildgewaltige und vor allem von Daniel Day-Lewis hervorragend gespielte Geschichtsstunde, die kompromisslos in ein dunkles Kapitel einer amerikanischen Epoche blickt. Ein wahrlich großer Scorsese, aber keines seiner besten Werke.
Autor: Pascal Reis