„Jeder Täter war einmal ein Opfer. Monster werden nicht geboren, Monster werden erschaffen.“
Die meisten Menschen haben keinerlei Berührungspunkte mit dem Knast, weil sie in ihrer wohlbehüteten Welt leben und keine Ahnung haben, wie es sich anfühlt, wie ein Tier eingesperrt zu sein und wie der letzte Dreck behandelt zu werden. Viele Filme fördern auch noch die romantische, klischeehafte Vorstellung vom Knastleben, bei der die Gefangenen ausschließlich kluge Gespräche führen und gemeinsam Musicalnummern aufführen. Haps ist im Gegensatz dazu Realismus pur, weil er das echte Knastleben zeigt, ohne Beschönigung und ohne „Friede, Freude, Eierkuchen-Flair“. Wer im Knast landet, hat sein Recht auf Menschsein verwirkt und wird mit Tieren eingesperrt, die bereit sind, einen jederzeit in Stücke zu reißen. Man kann niemandem mehr trauen und wenn man es doch tut, landet man dennoch in einem Strudel aus Gewalt.
Im Knast hat man keine Freunde, nur Zweckgemeinschaften und ein Knastaufenthalt ist gar nicht so „cool“, wie manche Jugendliche es in ihrer Naivität denken. Haps (Knast auf Arabisch) ist insbesondere für sie, denn er soll laut Regisseur und Drehbuchautor Ekrem Engizek (Koxa) eine ganz wichtige Message verbreiten: „Verbrechen zahlt sich nicht aus und man kann auf legalem Weg viel mehr verdienen als mit dem Verkauf von Drogen.“ Bei manchen Jugendlichen hält sich immer noch hartnäckig das Vorurteil, dass man als Drogendealer ein cooler, reicher, bei allen beliebter Gangster ist. Diese Drogendealer-Figur dient in vielen sozialen Brennpunkten als Vorbild. Man möchte eben nicht zum Sozialamt gehen und acht Stunden am Tag schuften, sondern lieber Betäubungsmittel verkaufen, weil es auf den ersten Blick lukrativer und einfacher zu sein scheint, doch keiner erzählt einem, wie die Geschichte weitergeht. Es geht nämlich nicht darum, in Zeitlupe, mit Goldkettchen, um den Hals, schnelle teure Autos zu fahren, sondern vom Leben gefickt zu werden, und zwar so richtig. Und sobald man dem Berufswunsch Drogendealer nachkommt, hat man seine Entscheidung getroffen. Man hat sich selbst dazu entschieden sein Leben wegzuwerfen und man muss nun mit den Konsequenzen leben.
Der Regisseur Engizek nutzt Haps als eine Art Therapie und findet damit den Weg, seine eigene Vergangenheit zu bewältigen. Er möchte, junge Menschen dazu bewegen, richtige Entscheidungen in ihrem Leben zu treffen: „Wenn wir es schaffen, mit diesem Film nur einen Menschen auf den rechten Weg zu führen, dann retten wir die Welt“. „Nach diesem Film, will keiner ins Gefängnis und das ist die Message!“ Es ist bemerkenswert, was für einen großen Platz die Selbstreflexion bei diesem Film einnimmt. Irgendwann mal begreift, die Hauptfigur Alex (Constantin von Jascheroff, Dogs of Berlin), dass er die Schuld für sein Leben, nicht bei den anderen suchen muss, sondern bei sich selbst und, dass die Summe seiner Entscheidungen ihn zu dem Punkt in seinem Leben gebracht hat, als er eingesperrt in einem Käfig, seinen ekelhaften Mitinsassen völlig ausgeliefert ist. Wenn man mit dem Rücken zur Wand steht und nichts dagegen tun kann, dann begreift man, dass man es lieber mit den Drogen ganz gelassen hätte. Vor allem, weil die Entscheidung, die man getroffen hat, nicht nur das eigene Leben, sondern auch das Leben von den Menschen zerstört hat, die man liebt.
Wenn von einem auf den anderen Tag ein Mensch verhaftet wird, der einem nahe steht, dann fühlt es sich so an, als würde jemand einem das Herz aus der Brust reißen. Obwohl man hauptsächlich bei Alex bleibt, zeigt man während der Gefängnisbesuche, wie es sich für seine Freundin Julia (Xenia Assenza, Tschik) anfühlt, allein gelassen zu werden. Wenn jemand also vorhat im großen Stil Drogen zu verkaufen, sollte er sich die Gesichter von seinen Liebsten auf seiner eigenen Beerdigung vorstellen. Wenn man in den Knast geht, stirbt nicht nur ein Teil von einem selbst, sondern auch ein Teil von ihnen. Trotz allem, egal wo man herkommt oder warum man glaubt, dass das Leben einen schlecht behandelt, man hat immer eine Wahl und auch das will der Regisseur mit seinem Film zum Ausdruck bringen und, was noch viel wichtiger ist, man kann sich immer ändern, auch wenn man schlimme Dinge getan hat und Menschen verletzt hat, man kann von vorne anfangen und wenn man Glück hat, dann dreht man einen Film in dem man den ganzen Scheiß, den man erlebt hat, verarbeitet und seine Seele sprechen lässt. Haps ist echt und kommt vom Herzen und deswegen überzeugt der Film mit seiner Authentizität. Besonders stark ist die Darbietung des Hauptdarstellers von Jascheroff, der die richtigen Gefühle vermittelt und seinen Schmerz von innen nach außen kehrt.
So spricht er über seine Rolle: „Wir haben viele Jahre an dem Projekt gearbeitet. So eine Rolle macht schon was mit einem, weil die Seele nicht unterscheiden kann, ob das gerade echt ist oder nicht und dein Herz schlägt, dein Puls geht auf 220 und dein Kopf nimmt es als ein echtes Erlebnis mit. Ich glaube, ich habe keine bleibenden Schäden… Als Schauspieler ist es immer wieder wichtig in so eine Rolle reinzugehen und richtig da rauszukommen und da helfen einem, Menschen aus der Familie sehr, bei mir ist es so....“ Die Darbietung von Constantin von Jascheroff ist in all seinen Facetten exzellent! Chapeau! Er lässt die Figur nicht nur eine Wahrheit über sich selbst erkennen, sondern auch Mitgefühl mit einem Monster zu entwickeln, der ihm schlimme Dinge angetan hat. Auch dieses Monster war einmal ein kleiner Junge, der gebrochen wurde. Wenn man weiß, was Menschen widerfahren ist, dann fällt es einem manchmal leichter, ihnen zu verzeihen, auch wenn sie einem schlimme Dinge angetan haben. Man muss ihnen nicht das Gleiche antun, was sie einem angetan haben, denn wenn man nach dem Prinzip „Auge um Auge“ vorgeht, dann ist irgendwann mal die ganze Welt blind. Trotzdem ist man nur ein Mensch und sich rächen zu wollen ist vermutlich der natürlichste menschliche Instinkt. Doch bevor man blind vor Wut handelt, sollte man darüber nachdenken, was der Regisseur zum Film gesagt hat: „Wir sind alle Kinder von Adam und Eva. Wir sind alle eins.“
Egal, wo wir herkommen, welche Religion wir haben, wir wollen alle nur geliebt werden und im Grunde sind wir alle gar nicht so verschieden, weil wir alle miteinander verbunden ist. Wir alle streben danach, frei zu sein und die Sonnenstrahlen auf der Haut zu spüren und wir alle finden Trost in den Wolken, die am Himmel vorbeiziehen, besonders, wenn wir an einem trostlosen Ort eingesperrt sind, aus dem wir nicht entkommen können. Haps berührt einen auf eine so vielfältige Art, dass man in stiller Andacht über die Dinge nachdenkt, die einem selbst widerfahren sind, oder man hat das Glück diesen Film und seine Figuren als ein abschreckendes Beispiel zu erleben und ist dankbar, dass all das, was da auf der Leinwand passiert, niemals auch nur ansatzweise ein Teil des eigenen Lebens sein wird. Haps ist roh und verbreitet die Atmosphäre der Ausweglosigkeit und diese ist mehr als nur deutlich spürbar und wird auch noch durch den bombastischen Soundtrack unterstrichen. Hier treffen unterschiedliche Charaktere aufeinander, die sich normalerweise auf der Straße aus dem Weg gehen würden, doch in diesem besonderen multikulturellen Mikrokosmos heißt es für sie: Fressen oder gefressen werden. Willkommen im Haps!