MB-Kritik

Hen 2025

Drama, Family

Inhalt

Im Verlauf der abenteuerlichen Geschichte einer Henne, die unbedingt eine Familie gründen will, entfaltet sich im Hintergrund eine schreckliche menschliche Tragödie.

Kritik

Nach s dokumentarischem Schweine-Schicksal Gunda,  s Esel-Tragödie Eo und s Hunde-Horrorfilm Good Boy steht mit György Pálfis (Taxidermia - Friss oder stirb) Drama einer Legehenne fest: Filme aus tierischer Perspektive manifestieren sich als kurioser Kino-Trend. Dessen skurrile Subjektivität erlaubt eine trügerisch neutrale Sicht auf menschliche Moralfragen, die weiterhin das Szenario dominieren. Diese Diskrepanz zwischen Tier-Protagonist und gesellschaftlichem Fokus zeigt sich mit neuer Deutlichkeit in der animalischen Allegorie des ungarischen Regisseurs. Seine formale Originalität und humoristischer Blickwinkel dienen als dankbare Folie für bigotte Stereotypen und konservative Werte.

Deren vordergründigster ist die Verklärung von Mutterschaft und Familie. Deren Priorisierung unterscheidet die titelgebende Tier-Protagonistin von den menschlichen Charakteren, die im Hintergrund der Hühner-Handlung ihre eigenen - großteils kriminellen- Konflikte austragen. Aus der Legebatterie aussortiert, entkommt eine namenlose Henne dem Fabrik-Arbeiter, der sie zu Suppe verarbeiten will. Die Freiheit birgt neue Gefahren wie Fressfeinde und Straßenverkehr, die Hackordnungen und Hierarchien als natürliche Gegebenheiten legitimieren. Diesen traditionalistischen Duktus zementiert die Ankunft im Hühner-Verschlag eines Menschenschmuggler-Klans. Deren erodierende Familienstrukturen bilden einen geringschätzigen Kontrast zur mütterlichen Selbstaufopferung der Henne. 

Dass ihre Leiden und Verluste wiederholt zu scherzhafter Slapstick bagatellisiert werden, unterstreicht Pálfis dramaturgisches Desinteresse an Tierwohl und Speziesismus. Die biblische Rangfolge zwischen Mensch und Tier wird ebensowenig hinterfragt wie die klassistischen und kriminellen Klischees, die der elliptische Plot transportiert. Der konsequente Verzicht auf CGI, Animation und Animatronics zugunsten der aufwendigen Arbeit mit echten Hühnern erzeugt eine unmittelbare Präsenz, die zugleich verfremdend wirkt. Das Tier wird zur metaphysischen Figur; einem Spiegel menschlicher Konditionen, die der Verfall einer vermeintlich naturgegebenen Sittlichkeit dem Niedergang weiht.

Fazit

Stilistisch besticht György Pálfis fatalistische Fabel durch ihre expressive Bildsprache und konzeptionelle Klarheit. Giorgos Karvelas empathische Kameraarbeit senkt sich auf Höhe der Henne, deren Gliedmaßen- und Blickpunktwechsel überraschende Identifikation schaffen. Schnitt- und Raumgestaltung tauchen in die animalische Existenz ein, ohne sie zu humanisieren. Die Henne ist Objekt und aktives Subjekt zugleich. Die illustrative Musik zieht besonders den ersten der zwei Akte ins Burleske, der zweite hingegen kippt in eine pessimistische Parabel. Deren scheinheilige Sozialkritik ist kaum mehr als verkappter Klassismus, dessen sozialdarwinistischer Sarkasmus den humanistischen Gestus konterkariert. 

Autor: Lida Bach
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