Serientechnisch ist die Distributionsplattform Netflix in Sachen Eigenproduktionen inzwischen eine wahre Kapazität auf dem Markt. Geht es aber um Spielfilme, sieht man sich angesichts von Werken wie XOXO, iBoy und ARQ selten in der Lage, dem Onlinedienst einen ehrliches Lob auszusprechen. Die Ambitionen aber sind da, wie der allgemein beinahe schon überschwänglich rezipierte Beasts of No Nation unter Beweis gestellt hat, allerdings liegt das momentane Talent des VOD-Unternehmens vielmehr im Einkauf von Filmrechten. Nicht nur hat zuletzt Umweg nach Hause durchaus gefallen können, auch Tallulah, ein authentisches Selbstfindungsdrama mit Ellen Page in der Hauptrolle, wusste im letzten Jahr zu überzeugen. Bevor am 17. März mit Iron Fist, dem finalen Defender des Marvel Cinematic Universe, wieder Fanherzen umschmeichelt werden, gilt es vorher eine weitere Perle zu entdecken.
Die Rede ist von Fremd in der Welt, dem Debüt des Blue Ruin-Darstellers Macon Blair, welches im Original auf den noch ein Stück weit finstereren Titel I Don't Feel at Home in This World Anymore hört – und die bis dato klügste Investition des Streaming-Portals darstellt. Wer (oftmals gerechtfertigte) Vorbehalte gegen das Sundance Film Festival, auf dem der Film in der Königskategorie ausgezeichnet wurde, hegt, wird mit Fremd in der Welt auf ein wahres Positivbeispiele des durchwachsen beleumundeten Festivitätsoutput stoßen: Hier geht es nicht um instagramgefilterte Schaumschlägereien, Macon Blairs Gespür für die intervallartig aufkeimende Skurrilität des Alltags scheint von Beginn an zu höheren Zielen bestimmt. Im Zentrum steht die Krankenpflegehelferin Ruth, gespielt von der gnadenlos unterschätzen Melanie Lynskey (Up in the Air).
Ihre Welt ist durch einen privaten Trauerfall aus den Fugen geraten. Alles ist trostlos, gleichgültig, grau. Manchmal aber benötigt es, um den Weg zurück ins Leben zu finden, keinen hoffnungsstiftenden Glücksmoment, sondern eine Reihe unangenehmer Ereignisse. Im Falle von Fremd in der Welt wird ein Hundehaufen im Vorgarten für Ruth zur Initialzündung, um zur Kraft des Aufbegehrens durchzudringen. Hat sich der mit einem Morgenstern bewaffnete Einzelgänger Tony (Elijah Wood, Maniac) in das Geschehen eingemischt, verfolgt Fremd in der Welt nicht nur auf äußerst eigenwillige Art und Weise den Ausbau des detektivischen Narrativs, Macon Blair bleibt, trotz all der tonalen Irregularitäten, die den Film so angenehm unvorhersehbar gestalten, der Glaubwürdigkeit seiner Figuren treu. Das stimmungsvolle Genre-Korsett ist auch Projektionsfläche eines Außenseiterduos, welches endlich bereit ist, um seinen Platz in der Welt zu kämpfen.
Das Schöne an Fremd in der Welt ist, dass er seine Charaktere ernst nimmt – selbst wenn sie sich blamieren sollten. Macon Blair beobachtet die innere Verletzlichkeit von Ruth und Tony aufmerksam, erzählt über ihre Begegnung auch eine Geschichte der leisen Annäherung, während um das Gespann herum die ganze Welt in Absurditäten zu versinken droht. Vermutlich sogar ist Fremd in der Welt der einzige Film, der fingerbrechende Senioren, Cashewnussmilch, Splatter-Einlagen, Ninjasterne und Depressionen unter einen Hut bekommen hat, ohne sich dabei ungewollt zwischen die Stühle zu setzen. Und genau deswegen ist es dem Zuschauer möglich, nicht nur in schallendes Lachen auszubrechen, wenn sich Ruth und Tony auf Spurensuche begeben, man verpflichtet sich den beiden, folgt ihnen, weil man es ihnen gönnt, einander gefunden zu haben.