„Was wir tun, ist, was wir sind.“
Irena Gut hat nach diesem Grundsatz gelebt und man kann sie als wahre Heldin betrachten, auch wenn sie es wahrscheinlich nie so gesehen hat. Sie hat nur getan, was sie für richtig hielt und sich dabei selbst großer Gefahr ausgesetzt. Ihr Antrieb waren die von ihr beobachteten Gräueltaten der Nazis, die sie veranlassten zu handeln und nicht nur tatenlos zuzusehen. Durch eine glückliche Fügung gelang es ihr zwölf Menschen vor dem sicheren Tod zu retten. Aber es war nicht nur Glück, sondern vor allem ihr Mut, der das Überleben der jüdischen Menschen sicherte, denn in brenzligen Situationen war sie stets bereit, sich schützend vor die Schutzsuchenden zu stellen und es gab einige solche Momente, in denen die von ihr Versteckten, drohten entdeckt zu werden. Irena Gut wurde als Gerechte unter den Völkern geehrt und doch ist ihre Geschichte heute weniger bekannt. Mit Irenas Geheimnis, basierend auf dem gleichnamigen Theaterstück des Drehbuchautors Dan Gordon (Murder in the First), wird ihre Geschichte nun einem breiteren Publikum bekannt gemacht.
Es gibt mittlerweile einige Filme über die tapferen und selbstlosen Menschen, die den verfolgten Juden Schutz gaben und sicherlich ist jede Geschichte es wert erzählt zu werden, um gegen das Vergessen anzugehen. 80 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs und der Naziherrschaft braucht es genau solche Filme, um in Erinnerung zu rufen, was Menschlichkeit bedeutet und für die Nachwelt die Geschichte lebendig zu halten. Irenas Geheimnis ist dabei an die wahre Geschichte von Irena Gut, einer jungen polnischen Krankenschwester, angelehnt und wirkt deshalb so erschreckend realistisch. Man spart nicht mit unangenehmen und eindringlichen Szenen und schreckt selbst vor der Ermordung von Kindern und Babys nicht zurück. Diese Momente waren Schlüsselmomente für Irena Gut (gespielt von Sophie Nélisse, Die Bücherdiebin) und ausschlaggebend für ihr Handeln. Umso wichtiger ist es deshalb, dass Regisseurin Louise Archambault (Le temps d'un été) diese Szenen trotz der Grausamkeit im Film zeigt und nicht nur darüber spricht.
Archambault schafft es genauso gut, die Spannung und Emotionen zu vermitteln. Sie hat ein Gespür dafür, in den Momenten zu bleiben und sie entsprechend zu gewichten. Dabei ist der Film nah an der Realität, wie es sich aus den Erzählungen von Irena Gut ergibt. Die Handlung ist hier und da gestrafft und leicht angepasst, was der Verständlichkeit und dem Tempo zugutekommt, aber dennoch ist die Geschichte respektvoll erzählt. Einige Male drohen Irena und die von ihr versteckten Juden entdeckt zu werden, doch wie durch ein Wunder schafft Irena es zu verhindern oder bekommt unerwartet Hilfe. Irenas Geheimnis hebt zwar die Protagonistin als Heldin hervor, benennt aber genauso die weiteren Helfer und Unterstützer, wie den ebenfalls beim Major (Dougray Scott, Deep Impact) angestellten Herrn Schultz (Andrzej Seweryn, Schindlers Liste). Der Film erfasst auch die zwischenmenschlichen Probleme zwischen den auf engsten Raum verborgenen Juden und setzt sich mit dramatischen Entscheidungen auseinander, die das Leben aller betreffen. Dabei geht es um so kontroverse Themen, wie eine Abtreibung, weil natürlich ein schreiendes Baby eine große Gefahr darstellt, entdeckt zu werden. Um diese Thematik dreht sich eine weitere emotionale Schlüsselszene des Films, in der es erneut darum geht, wie man sich in einer solchen Situation verhält. Diese Szene steht im Kontrast zu der geschilderten Szene mit dem getöteten Baby.
Dennoch steht Irena im Mittelpunkt des Geschehens und zunehmend auch ihre Beziehung zum Major, dessen Figur im Verlauf des Films immer mehr Tiefe bekommt. Er scheint einen inneren Konflikt auszutragen und hinterfragt immer mehr den grausamen Machtapparat, dem er dient. Der Film schafft es hier seinen Beitrag zu würdigen, ohne ihn zu heroisieren und ihn nur von seiner guten Seite zu zeigen. Der Major ist eine vielschichtige Person, die trotz guter Absichten zeigt, wie sie die Situation für sich zu nutzen weiß. Dougray Scott ist in dieser Rolle mehr als überzeugend. Nélisse und Scott schaffen es mit ihren Interaktionen die wahre Geschichte von Irene Gut glaubhaft auf die Leinwand zu bringen. Man könnte fast glauben, dass die vielen Zufälle im Film und die Spannungsspitzen der Feder des Drehbuchautors entstammen, doch das Leben weiß oft viel bessere Geschichten zu erzählen, als es jeder Drehbuchautor je könnte und Irena Guts Leben ist eine solche Geschichte. Eine Geschichte, die viel mehr Aufmerksamkeit verdient und in den öffentlichen Fokus gehört. Die kanadisch-polnische Produktion hat es natürlich schwerer sich auf dem internationalen Markt zu platzieren, doch sowohl Drehbuch, Regie, Kostüm und Ausstattung müssen sich nicht hinter Hollywood verstecken und auch das Schauspiel ist hervorragend. Hier kann sich insbesondere Sophie Nélisse hervortun, die sowohl eine gewisse Verletzlichkeit und zugleich eine große innerliche Stärke zum Vorschein bringt.