Mit Liebe ist kälter als der Tod, einer Hommage an die Ikonen des französischen Kinos, erntete Rainer Werner Fassbinder (Die bitteren Tränen der Petra von Kant) auf der Berlinale noch eine spannende Mischung aus Buhrufen und Jubelströmen. Man muss sich erst auf die Gegenhaltung einstellen, mit der der damals erst 23-jährige Autorenfilmer gegen alles rebelliert, was sich im deutschen Kino als Konvention verstand. Heutzutage gilt Fassbinder als einer der größten und wichtigsten Filmemacher aller Zeiten – auch weit über den nationalen Dunstkreis hinaus. Katzelmacher, eine Adaption des ebenfalls von Fassbinder inszenierten Action-Theater-Stücks aus dem Jahre 1968, welches sich gleichwohl als Gegenentwurf zum traditionsverhafteten Staatstheater definierte, rückte die Reputation des in Bad Wörishofen geborenen Mastermind in der allgemeinen Rezeption in die entsprechend lobpreisende Richtung.
Sicherlich, nicht alle waren davon begeistert, wie Rainer Werner Fassbinder die basalen Erzähltugenden des zeitgenössischen Kintopp ad absurdum führte. Ist das prätentiös? In der Theorie vermutlich schon. Allerdings lässt sich der Vorwurf der Kunstgewerblichkeit, mit dem Fassbinder Zeit seines Schaffens konfrontiert wurde, mühelos entkräften, wenn man einen Film wie Katzelmacher über die Summe seiner (Einzel-)Teile hinaus wahrnimmt. Die Dialoge, die Fassbinder seinem antiteater-Ensemble (unter anderem bestückt mit Irm Hermann, Lilith Ungerer und Rudolf Waldemar Brem) in den Mund legt, sind hölzern, eigentlich vollkommen lächerlich, sprachlich ungelenk und vollkommen nichtssagend. Die Bilder sind steril, leblos, statisch. Das Künstliche, das ultimative Erkennungsmerkmal des Aushängeschildes des Neuen Deutschen Films, ist hier Teil des Inhalts. Nein, anders formuliert: Das Künstliche, das befremdlich Überzeichnete, ist hier der Inhalt.
Aber genau diese vordergründige Abstraktion jedweder Realitätsbezogenheit benötigt Rainer Werner Fassbinder, um die (klein-)bürgerliche Welt, in der Katzelmacher angesiedelt ist, zu konfigurieren und im nächsten Schritt aufzuzeigen, mit welcher Abstrusität die ansässigen Menschen ihren beschränkten Horizont zu hofieren gedenken. Hier nämlich wird nicht mehr interagiert, sondern aneinander vorbeigelebt. Es gibt nichts zu sagen, man lungert herum, man betrügt sich, man ignoriert sich. Katzelmacher beschreibt hier schon eine Gesellschaft, die sich durch Entfremdung und Liebesunfähigkeit auszeichnet, bis sich Fassbinder selbst als (Klischee-)Griechen („Arbeit ja, aber nix Geld!“) unter das lethargische Personengemenge mischt. Ab diesem Punkt wird Katzelmacher zur gruppendynamischen Verhaltensstudie. Ganz konkret: Er untersucht das Wesen von Vorurteilen und kehrt die von Brutalität durchströmten Mechanismen dieser an die Oberfläche.
Die fehlende Kommunikation nämlich findet plötzlich einen Kanal, um sich auszudrücken: Die Gewalt. Erst verbal, dann nonverbal. Erst passiv, dann aktiv. Kein anderer Regisseur hat sein Außenseitertum derartig zur Marke erhoben, wie einst Rainer Werner Fassbinder. Natürlich ist er der Fremde, an dem sich die Anfeindungen der Anderen aufpumpen wie ein von Hass erfüllter Blasebalg. Irgendwann wird wieder miteinander gesprochen, aber nur, um dem Groll ein Ventil zu verleihen und diesen zu schüren. Es ist ein Groll, den Fassbinder, der Nonkonformist, der Einzelgänger, der Abweichler und Protestierende, bestens kennt. Er wollte doch nur geliebt werden, doch blieb immer ein Fremdkörper – und im Volksempfinden damit ein Objekt der geballten Animosität und Abscheu. Wenn es jemand verstand, der Wurzel der Gehalt nachhaltig auf den Zahn zu fühlen, dann wohl Fassbinder.