„Wir werden reich sein, Ali, und dann kaufen wir uns ein Stückchen Himmel.“
Über 40 Jahre trägt der im Jahre 1974 erschienene Angst essen Seele auf nun schon auf dem Buckel; und doch ist die vielleicht populärste Regiearbeit von Rainer Werner Fassbinder (Händler der vier Jahreszeiten) um keinen Tag gealtert. Wenn man so möchte, dann kann man in diesem Meilenstein der deutschen Kinokultur den Inbegriff eines unerschütterlichen, unverwüstlichen Klassikers bestaunen. Angst essen Seele auf nämlich ist – und das ganz besonders – zeitlos. In allem, was Fassbinder anspricht; in allem, was er zeigt, was er andeutet, was er nicht zeigt, wie er es nicht zeigt. Traurigerweise, möchte man sagen, befindet sich sein in Cannes mit Kritikerpreisen ausgezeichnetes Melodrama immer noch ganz nah am Puls der Zeit. Oder anders formuliert: Dieser Film funktioniert auf einer überzeitlichen Ebene.
Momentan ist es Fatih Akin, der mit Aus dem Nichts den Rassismus in Deutschland aufgreift. Hier wird Diane Kruger (Inglourious Basterds) Opfer von rechtem Terror und findet sich in einer ausweglosen Gefühlsspirale wieder, die sie in die Untiefen von Verzweiflung, Trauer und Wut treibt. Selbstverständlich ist Angst essen Seele auf auch ein geistiges Vorbild für den polarisierenden und potenziellen Oscar-Anwärter des nächsten Jahres, denn schon Rainer Werner Fassbinder hat sich hier mit einer deutschen Wirklichkeit beschäftigt, die sich über all die Jahre nicht verändern kann, weil sie sich viel zu sehr damit beschäftigt, Geschichte zu reproduzieren. Der willkürliche Hass, der dem, wie auch immer man es definieren möchte, Nichtdeutschen widerfährt, scheint in einer Endlosschleife ideologischer Ver(w)irrung stetig zu neuem Leben zurückzufinden.
Nährboden für diesen Hass ist eine Gesellschaft, die sich einredet, nur mit sich selbst und unter „ihresgleichen“ im Reinen sein zu können. Die 60-jährige Witwe Emmi (Brigitte Mira, Jeder für sich und Gott gegen alle) und der marokkanische Gastarbeiter (El Hedi ben Salem, Faustrecht der Freiheit), den alle nur Ali nennen finden einander. Beide verkehren sie in einer ausgestoßenen Funktion: Emmi ist ausgestoßen von der Liebe, nachdem ihr Mann verstorben ist. Ali ist ausgestoßen von der Gesellschaft, weil er in Deutschland nicht als Mensch, sondern als Hund wahrgenommen wird. Emmi und Ali sind gestrandet und verlieben sich. Sie heiraten. Sie werden – vorerst - ein Paradebeispiel dafür sein, wie zwei Menschen durch die Kraft der Liebe den Niederrungen des Alltags trotzen. Der Rassismus nämlich scheint sich als fester Anker in das gesellschaftliche Bewusstsein gefräst zu haben.
Angst essen Seele auf ist nicht zuletzt eine Vorbeugung vor der melodramatischen Kunst eines Douglas Sirk (Was der Himmel erlaubt), den Rainer Werner Fassbinder Zeit seines Lebens verehrt hat. Auch Fassbinder gelingt es hier bravourös, vordergründig mit Klischees und Überspitzungen zu arbeiten, um den Zuschauer nach und nach in eine moralische Zwickmühle zu führen. Denn wo die Selbstschutzmechanismen der Rezipienten erst aufschreien möchten, dass das Szenario mit all seinen zweckmäßigen Figuren viel zu überzeichnet ist, zu funktional, folgt auf dem Fuße die bittere Gewissheit, dass genau diese scheinbaren Überzeichnungen dem absurden Wesen von Vorurteilen, fehlgeleitetem Volksempfinden und gesellschaftlicher Ächtung der Wirklichkeit akkurat nachempfunden sind. Fassbinder war ohnehin ein Meister darin, Oberflächlichkeiten zu entfremden, um diese noch stärker auf die Realität zurückfallen zu lassen.
Man muss Angst essen Seele auf als eine Anklage an ein Deutschland verstehen, welches die Meinungshoheit an jene verteilt, die am lautesten schreien: Was deutsch ist, muss deutsch bleiben. Emmi und Ali nehmen den Kampf an, stellen sich den spöttischen Blicken, den demütigenden Tiraden, der allgemeinen Ignoranz und Missachtung. Und gerade in dem Moment, in dem man dem Glauben anheimfallen könnte, das Paar hätte die schlimmsten Stunden überstanden, überträgt Fassbinder seine Etüde der gnadenlosen Zerreißprobe ihrer (unmöglichen?) Liebe vom äußeren, auf den inneren Zirkel. In kärglichen Bildern, mechanischen Bewegungen, ungeschickten Dialogen entlarvt Fassbinder die deutsche Scheinheiligkeit, den beschränkten Horizont des Kleinbürgertums, der höchstens bis zur nächsten Eckkneipe reicht, und zeichnet eine von tiefer, brodelnder Sehnsucht umklammerte Liebe, die zwischen ungeahnter Zärtlichkeit und bedrückender Schonungslosigkeit ein weiteres Mal die Genialität des unsterblichen Meisterregisseurs aufzeigt.