„Es ging mir um Gerechtigkeit. Irgendwann habe ich diesen Gedanken aus den Augen verloren.“
Während es nach außen glitzert und schillert, fault Los Angeles innerlich schon lange vor sich hin. Der Fisch stinkt lange schon nicht mehr vom Kopf. Die Stadt der Engel ist hinter seiner Fassade aus Stars, Sternchen, Wohlstand und eines intakten Polizeiapparats – dessen Image eh schon seit Längerem nicht mehr zu vertuschende Risse aufzeigt – ein einziger Moloch. Ein Sündenpfuhl aus Rassismus, Korruption, Intrigen, Machtspielchen und organisiertem Verbrechen. Mit der Verhaftung des legendären Gangsterbosses Mickey Cohen scheint ein Hauptproblem beseitigt, in Wahrheit wird es nur noch schlimmer. Das große Hauen und Stechen im Hintergrund um das freigewordene Revier droht die Stadt endgültig in den Abgrund zu reißen. Alles hinter vorgehaltener Hand und streng vertraulich versteht sich. Hush-Hush, willkommen in L.A..
Filme wie „L.A. Confidential“ sind trotz nicht neuer Thematik Ausnahmeerscheinungen. Nicht in ihrem Jahrgang, in ihrer Dekade, sondern - das lässt sich bereits knapp 20 Jahren nach ihrer Veröffentlichung mühelos behaupten – filmhistorisch allgemein. Weit mehr als nur eine Reminiszenz an das klassische Crime-, Gangster- und Noir-Kino der 30er, 40er und 50er Jahre, der gerne in dem Zusammenhang verwendete Begriff Neo-Noir ist nur teilweise zutreffend. Inhaltlich bewegt sich Regisseur Curtis Hanson („8 Mile“) mit der wohl reifsten, akribischsten und besten Arbeit seiner Karriere unverkennbar auf diesem Terrain. Eine undurchsichtige Geschichte um Verbrechen, Mord und Lügen; ambivalente (Anti)Helden und zwielichtige Gestalten; eine Frau als nicht zu kalkulierende Schlüsselfiguren zwischen zu beschützendem Opfer oder doch manipulativer Kraft mit mehr Macht in ihren Händen (oder zwischen ihren Schenkel) als man ihr zunächst zugestehen kann/will/muss? Die Zutaten sind vorhanden, inszenatorisch gelingt Hanson jedoch nicht nur eine Hommage an die schwarze Serie, die er stilistisch lediglich geringfügig bedient. Mit modernen Mitteln gelingt ihm die einmalige Gratwanderung aus einem zeitgemäßen Krimi und klassischem US-Erzählkino, das nicht zwingend die Stillistig der Großen von einst kopieren muss.
Der Mittelweg ist das Geheimnis und nur einer der vielen Mosaiksteine, die hier ein nahezu makelloses Ganzes ergeben. Neben der technischen Umsetzung, dem bis in kleinste Detail perfekten Setdesign und einem grandiosen Cast (der bis dato in den USA mehr oder weniger unbekannte Russell Crowe, „Gladiator“, spielt überragend) ist das brillante Ausnahmeskript von Hanson und Brian Helgeland („Payback – Zahltag“) nach einer Geschichte von James Ellroy ("Dark Blue"). Trotz eines ereignisreichen Ablaufs mit hohem Erzähltempo ist man als Zuschauer genau wie die Hauptfiguren lange überhaupt nicht im Bilde, was genau hier vor sich geht. Wie die losen Strippen zusammenlaufen könnten, die die drei völlig unterschiedlichen Cops Bud White (Crowe), Ed Exley (Guy Pearce, „Memento“) und Jack Vincennes (Kevin Spacey, „American Beauty“) bei ihren unabhängig voneinander ablaufenden Ermittlungen am Ende nicht nur zu einer Auseinandersetzung und selbstkritischen Reflektion mit sich selbst zwingen, sondern zum Kern eines Krebsgeschwürs führen, dessen Ausmaß keiner von ihnen jemals geahnt hätte. Nicht eine Minute des Plots enthält Leerlauf, jeder Moment ist ein relevanter Teil des komplexen Puzzles, dessen Bild sich erst kurz vor Schluss endgültig offenbart.
„L.A. Confidential“ gerät dabei nicht zu langatmig, verwirrend oder überfordernd, selbst weniger geduldige Zuschauer können davon schwer gelangweilt werden. Dauernd geschieht wieder etwas, kommen neue Facetten hinzu. Die Geschichte erzwingt die lückenlose Aufmerksamkeit nicht, sie sorgt mit einer Selbstverständlichkeit automatisch dazu. Das kann natürlich nicht ohne eine Bindung zu den Figuren funktionieren, erfordert den entsprechenden, charakterlichen Unterbau. Was mit ihnen im Laufe der Handlung geschieht macht ihren Reiz aus. Der hochintelligente, zielstrebige, penible, überkorrekte Spießer Exley erklimmt mit Ehrgeiz und ohne jeglichem Interesse an Wir-Gefühl die Karriereleiter im Eiltempo. Mit Abscheu gegen die im besten Fall halblegalen Methoden seiner Kollegen, die laut seinem Vorgesetzten (James Cromwell, „Die Queen“) unabdingbar sind, um es in der Löwengrube des L.A. Police Department es nach oben zu schaffen. Ihm fehlt es nicht an Cleverness, nicht an der Theorie, ihm fehlt es an handfesten Qualitäten. Mal ein Geständnis rausprügeln, mal einem Verdächtigen in den Rücken schießen, sogenannte Gerechtigkeit im Sinne des Rudels zu interpretieren, wenn es die Situation vermeidlich erfordert.
Ein ganz anderes Kaliber scheint Bud White zu sein. Ein gerne als primitiver Rammbock verschriener Grobian. Nicht so smart und kultiviert, ein Mann der Tat. Angetrieben von einem bedingungslosen Beschützerinstinkt und geplagt von Minderwertigkeitskomplexen hat er früh gelernt, dass seine Rolle die des bärbeißigen Kettenhundes ist, der genau diese Attribute erfüllt. Feuer mit Feuer bekämpfen. Blinder Gehorsam und Kompromisslosigkeit zeichnen ihn aus, doch unter der harten, vernarbten Schale schlummert ein ganz weicher Kern, den nur das weibliche Geschlecht (in dem Fall: Die für die Rolle mit dem Oscar ausgezeichnete Kim Basinger, „9 ½ Wochen“) zum Vorschein bringt. Was ihn darüber hinaus von praktisch jedem seiner Kollegen abhebt: Er lässt sich zwar gutgläubig manipulieren, für die Zwecke seiner Vorgesetzten missbrauchen, besitzt dafür jedoch echte Empathie. Gerade der von blinder Selbstverwirklichung angepeitschte Exley und der dritte im Bunde, Jack Vincennes, haben lange vergessen, was das überhaupt ist.
Jener Vincennes hat mit dem echten Polizistendasein eigentlich schon lange nichts mehr am Hut. Lieber arbeitet er als Berater für eine erfolgreiche TV-Serie, suhlt sich im Rampenlicht des Showbusiness und wenn er denn mal seinen Job im Drogendezernat nachgeht, natürlich auch nicht ohne medienwirksames Tamtam. Große Fische und anstrengende Ermittlungsarbeit ist nicht sein Ding. Stattdessen verdient er sich ein Zubrot für einen schmierigen Klatschreporter (Danny DeVito, „Batmans Rückkehr“), indem er auf dessen Tipps hin harmlose, aber prominente Kiffer hochgehen lässt und noch bei der Verhaftung vor das bereits geladene Blitzlicht schleift. Eher zufällig, unabsichtlich schlittert auch er in dieses verzahnte Geflecht und findet doch noch sein Gewissen wieder (-„Wieso machen sie diesen Job?“ –„Ich weiß es nicht mehr!“). Alle drei – Exley, White und Vincennes – haben es verlernt, nach links und rechts zuschauen. Jeder aus unterschiedlichen Gründen, jeder auf seine eigene Weise. Erst als sie langsam die Scheuklappen ablegen, bringen sie Licht ins Dunkel. Die Frage ist nur: Wer will die Wahrheit überhaupt hören und ist es nicht eh schon viel zu spät? Die Antwort bleibt an dieser Stelle selbstverständlich aus, den Film sollte jeder unbedingt mal gesehen haben.