Inhalt
Im Australien des 19. Jahrhundert angesiedeltes Drama um einen irischen Gentleman, der sich in die psychisch erkrankte Frau seines Geschäftspartners verliebt.
Kritik
Hitchcock’s „Selbstständigkeit“, sie fand mit Sklavin des Herzens ein krachendes und schnelles Ende. Nachdem schon Cocktail für eine Leiche finanziell floppte, wurde auch der zweite Film seiner eigenen Produktionsfirma Transatlantic ein kommerzieller Misserfolg und ließ deren Tore nach nur zwei Jahren schließen. Seine persönliche Karriere ging danach natürlich noch weiter und sogar noch spürbar bergauf, dennoch markiert es einen Tiefschlag in der Erfolgsgeschichte Hitchcock. Dabei sogar ziemlich unberechtigt. Cocktail für eine Leiche wurde unlängst als wichtiges Meisterwerk von vielen Stimmen anerkannt und auch diese für ihren Regisseur nur auf den ersten Blick völlig artfremde Produktion ist wesentlich besser als das ernüchternde Feedback bei ihrer Premiere.
Sklavin des Herzens (Under Capricorn, nach dem gleichnamigen, 12 Jahre zuvor veröffentlichten Roman von Helen Simpson) hat insofern einen Sonderstatus, da er Hitchcock’s einzigen Kostümfilm markiert. Ein Metier, für das er nach eigenen Angaben nicht viel übrig hatte, was den Entschluss für diese Arbeit zunächst schizophren erscheinen lässt. Geduld ist das Stichwort, denn schnell stellt sich heraus, dass sich hinter der oberflächlich tragisch-romantischen Dreiecksbeziehung wesentlich mehr verbirgt als eine Schmonzette vor mehr oder weniger „exotischen“ Kulisse. Mit Themenkomplexen und Motiven, die sehr wohl den Präferenzen des Regisseurs entsprechen und die er in ähnlicher Form auch davor immer wieder zu den seinigen machte.
Wir schreiben das Jahr 1831. Gemeinsam mit seinem dort als neuen Gouverneur installierten Cousin kommt der Ire Charles Adare (Michael Wilding, Die rote Lola) nach Sydney. Australien steckt mitten im Umschwung von einer durch die britische Krone zur Sträflingskolonie erklärten „Wildnis“ zur eigenständigen (dennoch natürlich durch das Empire gesteuerte) Nation von weißen Immigranten (= Besetzern, aber darum geht es hier nicht). Vieles ist im Aufbau und manche der einst als Gefangene dorthin verschifften Männer haben sich nach dem Strafvollzug dort eine eigene, sogar prächtige Existenz errichten können. Wie Sam Flusky (Joseph Cotten, Im Schatten des Zweifels), der es zum wohlhabenden Großgrundbesitzer gebracht hat. Durch die Möglichkeit mit ihm Geschäfte zu machen gerät Adare in seinen Dunstkreis und stellt bei der Einladung zu einer Dinner-Party fest, dass sie noch viel mehr verbindet. Flusky’s Gattin Henrietta (Ingrid Bergman, Casablanca) ist eine Jugendfreundin von Charles aus der alten Heimat. Doch findet er statt eines lebensfrohen Mädchens aus gutbehütetem, unbeschwertem Hause ein verwirrtes, psychisch offenbar schwer labiles und totunglückliches Wrack mit massivem Alkoholproblem vor. Sam, dem diese Probleme sehr wohl bewusst sind, bittet Charles darum, als eine Art platonischer „Hausfreund“ sich ihrer anzunehmen. Was - wer konnte das bloß ahnen? – im Aufkeimen von gegenseitigen Gefühlen mündet. Ein Fiasko, doch da ahnt Charles noch gar nicht, warum hier alles so ist, wie es ist.
Mögen Setting und Grundausrichtung so gar nicht einer typischen Hitchcock-Arbeit entsprechen, spätestens ab dem ersten Besuch in dem prunkvollen, aber mit einer etwas eigenen, gar unheimlichen Aura versehenen Anwesen des Ehepaars Flusky steigen unweigerlich Assoziationen zu seinem Oscarprämierten Klassiker Rebecca auf, zu dem generell die stärksten Parallelen bestehen. Denn statt einer schmachtenden Schmonzette entpuppt sich Sklavin der Herzens als durchaus tiefschichtiges Psychodrama, das psychologisch längst nicht so banal ist wie es zunächst den Anschein machen könnte. Enorm viel über verdrängte, abgegebene und umgelagerte Schuld wie Selbstaufopferung und eine darauf errichtete und darunter im Lauf der Zeit zusammengebrochene Beziehung berichtet, die sich irgendwann auch auf den neuen, Dritten im Bunde übertragen soll. Verpflichtungen, „Entschädigungen“ und Opferbereitschaft bis hin zur Selbstaufgabe, darum dreht sich der tatsächlich sehr tragische und zwischenmenschliche aufregende Kern von Sklavin des Herzens, der dadurch im weiteren Verlauf den vielleicht vorhandenen Mangel an Spannung im Sinne des üblichen Hitch-Thrills kompensiert.
Suspense findet nur im sehr geringen Maße statt (wobei die Final-Drink-Szene vergleichbar ist mit der aus Verdacht) und darum geht es auch überhaupt nicht. Dieser Film ist ein Ehe-, ein Beziehungsdrama mit starkem Fokus auf eine echte Liebe, die aber durch einen Zwischenfall wie dessen tief verwurzelte Folgen zwei Menschen verändert, teilweise zerstört und immer weiter voneinander entfremdet hat. Er ist wegen ihr hier und nun ist sie hier wegen ihm. Aber miteinander, das sind sie schon lange nicht mehr. Hitchcock kann bei diesem inhaltlich wesentlich komplexeren als oftmals unterstellten Werk sich nicht nur auf einen exzellenten Cast verlassen (allein wie intensiv, glaubhaft und entgegen ihres Diven-Images auch „hässlich“ Ingrid Bergman das spielt, wunderbar), seine persönliche Leistung ist der eines Meisters würdig. Mit vielen sehr langen und stellenweise wirklich komplizierten Takes (die Balkon-Erklimmung) scheint er allen zeigen zu wollen, was er fachlich so drauf hat. Allein technisch so stark, bemerkenswert wie dieser Film so scheitern konnte und bis heute auch nur selten Erwähnung findet.
Fazit
„Sklavin des Herzens“ beginnt sicher untypisch und scheint die Erwartungen an einen Hitchcock kaum erfüllen zu können, ist aber nur ein weiterer Beweis für die oft nicht angesprochene Vielseitigkeit des Master of Suspense. Denn genau damit hat dieser Film wenig bis nichts am Hut, konzentriert sich aber – im wohl falschen, irreführenden Gewand – auf einige ganz klare Hitchcock-Themen. Wie großartig es ihm gelingt, Emotionen und ganze dramaturgische Wendepunkte nur durch seine Bilder darzustellen (die Szenen mit dem Collier hinter dem Rücken). Dazu ein starker Cast und eine empathische wie schlüssige, psychologische Dynamik. Ein unterschätzter, ein sehr schöner Film, auf den man sich eventuell etwas mehr einlassen muss als auf andere seiner Arbeiten.
Autor: Jacko Kunze