Inhalt
Die Augen des Weges ist ein visuelles Gedicht mit überwältigenden Aufnahmen der Andenbergwelt. Es ist ein Quechua-Gebet, das die Gefühle der Andenkultur gegenüber der Mutter Erde zum Ausdruck bringt und die Suche nach einem tieferen Verständnis der Natur als Lebewesen, als ewige Begleiterin der Menschen. Der Hauptfigur ist ein Mann aus den Anden, der in verschiedenen Regionen der Kordilleren auftaucht und wieder verschwindet, wie ein Geist, der einen letzten Blick auf die heiligen Berge werfen möchte, und sich mit dem Wasser, den Felsen, den Männern unterhält, um eine bessere Vorstellung davon zu haben, unter welcher Krankheit die Menschheit der Gegenwart leidet.
Kritik
Wolkenverhangene Bergflanken, raue Schluchten, kristallklare Bäche. Das ist die Welt der peruanischen Anden, die Hipólito Peralta Ccama durchwandert. Er ist der Protagonist des Films, tief verwurzelt mit den Vorstellungswelten jener Gegend. So manche Bräuche und Überzeugungen, die fernab der großen Städte den Alltag der Landbevölkerung bestimmen, gehen noch auf koloniale Zeiten zurück ‒ oder sogar auf vorspanische.
Hipólito Peralta nimmt die Zuschauer mit auf seine Reise durch die Bergwelt Perus samt ihrer Eigenheiten. Er berichtet und kommentiert, spricht mit der Kamera und mit der Landschaft um ihn herum. Das tut er auf Quechua, jener indigenen Sprache, die einst auch die Inka verwendeten und die heute neben Spanisch eine der offiziellen Landessprachen Perus ist. Spanische Worte hingegen sind im gesamten Film nur sehr wenige zu hören. Fast alles wird bestimmt von der charakteristischen Sprachmelodie des Quechua ‒ und eben von Peraltas Blick auf seine Welt.
Im weitesten Sinne ist Die Augen des Weges wohl ein Dokumentarfilm, auch wenn er die Grenzen des Genres ausreizt, auf Entschleunigung setzt und die Zuschauer allein lässt mit dem Erzähler und Reiseführer. Den eindrucksvollen Landschaftsaufnahmen wird viel Zeit eingeräumt, ihre Wirkung zu entfalten. Peraltas Kommentare und Monologe streifen zahlreiche Themen ‒ von persönlichen Kindheitserinnerungen über andine Geistwesen bis hin zum Alltag eines Bergdorfes ‒ und bilden damit ein Kaleidoskop aus Eindrücken. Hier und da interagiert Peralta auch mit anderen Menschen, besucht etwa ein Dorffest und beleuchtet den Kontrast zwischen Tradition und Moderne, der auch in den abgelegenen Dörfern der Anden immer mehr an Boden gewinnt.
Das alles könnte Die Augen des Weges zu einem ganz wundervollen Film machen, der sowohl zum Träumen einlädt als auch neue Horizonte eröffnet. In Ansätzen gelingt ihm das auch. Bedenkt man außerdem, wie ausgeprägt die Spannungsfelder innerhalb der peruanischen Gesellschaft sind, welche Rolle Rassismus gegen die Andenbevölkerung spielt und wie sehr es immer noch an echter Anerkennung für indigene Sprachen fehlt (und nicht nur daran), kann man es Regisseur Rodrigo Otero Heraud kaum hoch genug anrechnen, was er sich mit Die Augen des Weges vorgenommen hat.
Doch so atemberaubend die Bilder aus den Anden auch sind und so interessiert man Peralta über weite Strecken zuhört, so ausgeprägt sind leider auch die Schwächen des Films. Einerseits ist Die Augen des Weges ein höchst persönliches Projekt, das vor allem Peraltas Perspektive zeigt. Andererseits scheint der Film diesen Ansatz immer wieder zu vergessen und seiner eigenen Wirkungsstärke zu wenig zu trauen. Immer wieder scheint Peralta bemüht, seine eigenen Ausführungen mit einem aufgesetzten Pathos zu überhöhen, der nicht selten unfreiwillig komisch wirkt. Gerade gegen Ende verrennt sich Die Augen des Weges geradezu in eine moralinsaure Gegenüberstellung der bösen, vergifteten moderne und der unschuldigen, Erleuchtung und Erlösung verheißenden Tradition.
Das ist deswegen schade, weil der Film auf diese Weise Potenzial verschenkt, das in einigen Szenen durchaus aufblitzt. Ein genauerer Blick auf komplexe Wechselwirkungen oder konkrete Konfliktfelder fällt zugunsten einer esoterisch anmutenden Überhöhung andiner Vorstellungswelten durchs Raster. Das nimmt leider auch der Darstellung eben dieser Vorstellungswelten in einigen Momenten unnötig an Kraft. Zu sehr setzt der Film trotz der Bemühung um eine authentische Perspektive zuweilen auf Exotisierung und eine diffuse Darstellung, die wenig Kontext liefert.
So wirken Peraltas Ausführungen oft wie der Bezug auf etwas Allgemeingültiges, Zeitloses und Unveränderliches. Wenngleich dieser Ansatz als Wertschätzung einer indigenen Perspektive gemeint sein mag, verhindert er genau das, was der Film eigentlich hätte leisten können: die Lebens- und Vorstellungswelten der Andenregion (und auch ihre Spiritualität) als wirklich lebendig, gegenwärtig, vielschichtig und dynamisch zu zeigen. Dass die von Peralta durchwanderte Landschaft meist namenlos bleibt und in der Regel unklar bleibt, inwieweit seine Ansichten individuelle Deutungen oder weiter verbreitete Vorstellungen sind, schlägt leider in die gleiche Kerbe.
Während die deutschen Untertitel dem gesprochenen Quechua meist gut gerecht werden, gibt es an einigen Stellen auch Schnitzer und ungenaue, teils hölzern wirkende Übertragungen, die das Verständnis mitunter erschweren ‒ etwa, wenn das Konzept eines typisch andinen Geistwesens mit dem europäisch geprägten »Elfen« übersetzt wird. Letzteres ist selbst so reich an widersprüchlichen Konnotationen, dass es kaum hilft, das Quechuakonzept besser fassbar zu machen.
Fazit
Sehenswert ist »Die Augen des Weges« auf jeden Fall, allein schon wegen der wundervollen Bilder und des unkonventionellen Ansatzes. Auch Peraltas Schilderungen bergen trotz gewisser Längen zahlreiche faszinierende Gedanken, die ein Fenster zu andinen Vorstellungen und Denkmustern aufstoßen. Nur leider schöpft der Film sein vorhandenes Potenzial bei Weitem nicht aus und schadet sich durch teils übertriebene Romantisierung gerade im letzten Drittel selbst.
Autor: Sabrina Železný