Inhalt
Das pulsierende Porträt einer Frau, die sich in einem galicischen Fischerdorf mit harter Arbeit und sprödem Charme durchkämpft. Als ihre 18-jährige Tochter bereit ist, auf eigenen Füßen zu stehen, beginnt Ramona, ihr bisheriges Leben in Frage zu stellen.
Kritik
Die Selbstaufgabe der älteren Vertreterinnen der Arbeiterschicht stand bereits im Zentrum Álvaro Gago Díaz‘ gleichnamigen Kurzfilms. Dessen Porträt einer sich für die erwachsene Tochter und Enkeltochter aufopfernden Fabrikangestellten diente offenbar als Inspiration des Langfilm-Debüts des spanischen Regisseurs. Nicht nur dessen aufgesetzte Empathie für die alternde Hauptfigur unterwandert die Glaubhaftigkeit eines Dramas, das zwischen neorealistischer Milieuskizze und intimen Charakterdrama so hektisch hin und her springt wie die Protagonistin zwischen ihren Jobs.
Dass Ramona (patent: María Vázquez, Santo) die tägliche Hetzerei von ihrer schlecht bezahlten Stelle als Vorarbeiterin einer Reinigungskolonne zu ihrem ertragsarmen Nebenjob auf einem Fischkutter nicht nur aus materiellem, sondern emotionalem Zwang auf sich nimmt, ist ein ebenso spannender wie vernachlässigter Aspekt der systemischen Ausbeutung, insbesondere der weiblichen Arbeiterklasse. Umso enttäuschender ist die Ignoranz des Regisseurs und Drehbuchautors gegenüber den patriarchalischen Mechanismen, denen selbst autark auftretende Personen wie Ramona nicht entgehen.
Ruppige Kameraaufnahmen akzentuieren das forsche Wesen der Protagonistin, deren Neubeginn nach der Abnabelung ihrer Tochter nicht nur das sozialdarwinistische Narrativ bestätigt, dass eine Verbesserung der Lebensumstände eine Willensfrage sei. Mit ihren Kolleg:innen verkörpert sie das Stereotyp der frohgemuten Armen, denen trotz Unterbezahlung und Überarbeitung nie Geld zum Feiern und Kraft zur gegenseitigen Unterstützung fehlt. Weder körperliche noch seelische Spuren bleiben von jahrelanger Unterdrückung, der zu entkommen ein Bahnticket genügt.
Fazit
Das feministische Titel-Statement maskiert ein nicht nur formell als konventionelles Sozialmärchen. Raue Optik und Gemüter sind gleichermaßen gekünstelt in der von heuchlerischem Optimismus verzerrten Geschichte eines späten Aufbruchs, von dem die trotz Arbeit Armen im wahren Leben nur träumen können. Doch das von seiner energischen Hauptdarstellerin getragene Drama ist nicht für die Klasse gemacht, deren alltäglichen Existenzkampf es banalisiert, sondern diejenigen, die davon so weit entfernt sind wie der Regisseur.
Autor: Lida Bach