Inhalt
Felix und Martha sind die sprichwörtliche Ausgeburt des Teufels. Vor vielen Jahren wurden ihre Mütter vom berüchtigten Schlächter von Mons vergewaltigt und später entsorgt. Heute leben die mittlerweile erwachsenen Geschwister nach wie vor im verwahrlosten Haus des Mörders, gemeinsam mit den Schrecken der Vergangenheit und dem Vermächtnis ihrer Prägung. Während sich Felix, ganz der Vater, auf täglichen Streifzügen seine halbtote Beute nach Hause holt, lebt die heftig gemobbte Martha ein möglichst unauffälliges Leben als Putzangestellte in einer Fabrik. Doch als eine Situation auf der Arbeit eskaliert, bricht sich auch in ihr ein wütendes Tier Bahn.
Kritik
Was heißt gut? Was böse? Wo finden wir die Trennlinie von Täter zu Opfer? Wie formt unsere Umwelt uns, wie formen wir unsere Umwelt? Und wie wirken sich eigentlich unsere frühsten Kindheitserinnerungen- und traumata auf diesen Umgang aus? Geht es nach Megalomaniac – dem neusten Terrorhorror aus Belgien – finden sich die Antworten in einem steten Dualismus wieder. Während Martha (stark: Eline Schumacher) in Gewalt gezeugt wird, wird ihr älterer Bruder (nichtssagend: Benjamin Ramon) Zeuge von Gewalt, als der sagenumwobene Serienmörder „The Butcher“ seine Mutter erst vergewaltigt und nach der Geburt seiner Schwester schließlich vor seinen Augen tötet. Als Erwachsene fristen sie ihr Dasein in Isolation. Felix eifert dem Butcher nach und entsorgt einsame Frauen, die er auf der Straße findet, Martha verliert sich in einer Persönlichkeitsstörung, die zwischen Opfer- und Täterrolle hin und herpendelt.
Was unterscheidet einen guten Horrorfilm eigentlich von einem schlechten, mag dem Zuschauer da in den Sinn kommen. Im Fall von Megalomaniac ist das gar nicht so leicht so beantworten. Dass sich das französische Terrorkino in Form von Martyrs, High Tension oder Inside neben seiner expliziten Gewaltdarstellung auch mit komplexen Fragen nach Umwelt, Individuum und Existenz befasst und diese durch Grenzerfahrungen auslotet, entwertet zumindest den Vorwurf, es handele sich dabei ausschließlich um oberflächliche, voyeuristische Gewaltfantasien auf Zelluloid (obwohl die Linie hier durchaus sehr dünn ist). Und auch der zwar belgische, aber auf Französisch gedrehte und sich ohne Frage im Geiste der französischen Terrorfilme inszenierende Megalomaniac will mehr sein als pure Gewaltparade – mehr als „der brutalste Film des Jahre“, als den ihn manche Plattformen vermutlich bezeichnen werden (die Werbewirksamkeit dieser Zeilen lässt sich sicher nicht bestreiten, auch wenn der Film mit The Sadness ungefähr so viel zu tun hat wie mit Barbie in 'Eine Weihnachtsgeschichte').
Nein, Megalomaniac präsentiert in der Rolle der psychisch labilen Martha eine im Grunde spannende, weil schwer zu greifende Protagonistin, die nach dem traumatischen Erlebnissen ihrer Kindheit in ihrer Umwelt steter Erniedrigung und grausamster Gewalt durch ihre Mitmenschen ausgesetzt ist. Eine Protagonistin, die diese Gewalt einerseits in sich hineinfrisst, sie allerdings an ihrer Umgebung auch wieder auslebt. Die Grenze von Opfer und Täter wird in Megalomaniac verwischt, eine Identifikation mit Martha absichtlich erschwert. In Martha existiert ein durch das Opfer geborener Täter, ein durch ihre Erfahrung entfesseltes Monster, das die Frage eröffnet: Kann oder sollte ich mit dieser Figuren mitfühlen? Manchmal sind die Dinge eben nicht schwarz und weiß.
So weit, so interessant. Doch leider geht Megalomaniac über diese Fragestellung kaum hinaus. Sicher kann man über den Film inhaltlich viel diskutieren, allein aufgrund seiner (relativ platten) Symbolik. Leider inszeniert Regisseur und Drehbuchautor Karim Ouelhaj seinen Horror aber so sprunghaft, dass interessante Ansätze oft nicht über ihren eigenen Ansatz hinauskommen. Schlimmer noch: Zeitweise wirkt Megalomaniac als würde er lieber einer Strichliste des französischen Terrorkinos abarbeiten, als sich auf seine eigenen Ideen zu fokussieren. Hier rückt dann plötzlich die reine Gewaltgeilheit in den Mittelpunkt: Vergewaltigung, Mord, Folter, Inzest – die Liste ist lang.
Hinzu kommt, dass Megalomaniac wie seine Protagonistin nicht nur ein inhaltliches Identitätsproblem mit sich bringt, sondern auch ein inszenatorisches. So pendeln sowohl Soundtrack wie auch Kameraarbeit wild zwischen tief atmosphärisch und absolut unerträglich hin und her. Mag der Film noch mit einer erhaben inszenierten Landschaftsaufnahme im düsteren Belgien auftrumpfen, folgt eine Verfolgungssequenz, bei der man meinen könnte, der Kameramann hätte einen unkontrollierten Zitteranfall gehabt. Mag der Soundtrack in einer Szene mit wunderbaren Chören noch verzaubern, kreischt im nächsten Moment die Gitarre so unkontrolliert wie ein in die Ecke gedrängtes Huhn. In Hinblick auf seinen inhaltlichen Dualismus und der Frage nach Täter und Opfer mag man hier sogar von Absicht sprechen können – Symbolik ahoi. Aber selbst wenn es so ist: Gut gemeint ist nicht automatisch gut gemacht.
Fazit
Im Geiste des französischen Terrorkinos wie „Martyrs“ oder „Inside“ versucht Karim Ouelhajs „Megalomaniac“ neben seiner expliziten Gewaltdarstellung auch inhaltlich spannende Fragen zur Dualität von Täter und Opfer zu behandeln. Wie seine Protagonistin hat der Film dabei allerdings ein Identitätsproblem: Ohne inhaltlichen wie inszenatorischen Fokus, irgendwo zwischen tief atmosphärisch und unangenehm stümperhaft, pendelt „Megalomaniac“ zwischen Ideen und Ansätzen wild hin und her, ohne sie befriedigend zu Ende zu führen. Diskussionen wird es hier eher zur sadistischen Gewaltdarstellung geben, die im Genre allerdings auch schon deutlich wirksamer war.
Autor: Thomas Söcker