Inhalt
New York 1953: Der erfolglose Schriftsteller Bill Lee hält sich als Kammerjäger über Wasser und versucht, seinen Frust mit Drogen zu betäuben. Vollgedröhnt mit Insektengift erschießt er seine Frau Joan beim “Wilhelm-Tell-Spiel” und flüchtet sich an einen fiktiven Ort namens Interzone. Dort wähnt er sich von skurrilen Kreaturen aus seinem schizoiden Unterbewusstsein verfolgt. Seine Schreibmaschine mutiert zu einem überdimensionalen Insekt, das ihn zwingt, seine Erlebnisse für eine geheimnisvolle Organisation zu dokumentieren. Die Kreatur fordert mehr und mehr Stoff.
Kritik
„Ich habe mit dem Schreiben aufgehört als ich 10 war. Zu gefährlich.“
Wie adaptiert man das Unverfilmbare? Etwas, das selbst in seiner Ur-Form Grenzen überschritt und als obszöner Schund zunächst verteufelt, um letztlich nicht nur rehabilitiert zu werden, sondern als einer der wichtigsten Beiträge der Beatnik-Literatur inzwischen Seite an Seite mit Werken den größten Schriftstellern des 20. Jahrhunderts gelistet ist? Tatsächlich ist es wohl unmöglich, aber wenn es einer versuchen kann, dann David Cronenberg (eXistenZ). Die Verlockung war wohl angesichts der zahlreichen Verknüpfungen von seinem allgemeinen Themenkomplex zum wirren Ideen-, erschreckend autobiographischen Erlebnis- und halluzinogenen Verarbeitungsrausch von Autor William S. Burroughs und seinem mit Noir- und hardboiled-Elementen vermengten Brainstorming-Schleudergang Naked Lunch zu groß, als nicht wenigstens mit Anstand daran zu scheitern. Stattdessen gelingt ihm nicht nur sogar die wohl größte Hürde seiner generell unkonventionellen, brillanten Karriere mit Leichtigkeit zu nehmen, er definiert die Rahmenbedingungen komplett neu. Formt und biegt sie sich zurecht, bis seine und die Gedanken von Burroughs etwas Neues, Eigenes gebären. Abstoßend und gleichzeitig wunderschön.
Die losen Gedankenfragmente von Burroughs-Vorlage – die mehr oder weniger dessen Drogen-geschwängerten Geistesentgleisungen entsprangen und Fiktion wie reale Erlebnisse unkontrolliert miteinander verschmelzen ließ -, verwandelt Cronenberg in eine Art Heroin-…Pardon, Wanzengift…Variante von Alice im Wunderland, in der die Inhalte des Buchs so mit deren wild-spekulierten Entstehungsgeschichte im garstig-zynischen Film-Noir-Groteske-Modus ungeschützt kopulieren. Burroughs‘ Alter Ego Bill Lee (nie besser: Peter Weller, RoboCop) ist anfangs noch bedacht darauf seine bewegte Milieu-Vergangenheit hinter sich gelassen zu haben, bis ihn die skurrile Abhängigkeit nach Insektenvernichtungsmittel viel tiefer schickt als nur in den Kaninchenbau. Es geht direkt nach Interzone. In einen abstrakten Strudel aus Rausch, Turkey und Irrsinn . Fieberverträumt von Verbindungsoffizier-Käfern, homo/bisexueller Infiltration als „notwendiges Mittel“, subversiver Agenten-Tätigkeit in Nordafrika, einem kannibalischen Duell eifersüchtiger Schreibmaschinen, hinterlistigen Ärzten und der unbändigen Geilheit nach dem Ejakulat bizarrer Kreaturen.
Das neue Fleisch ist schwarz geworden. Die Realität nur kurzzeitiger Gast und kaum noch in seinen knappen Einschüben von der organischen, leicht pervers-anmutenden und doch auf so verstörenden Weise nicht ganz unsinnlichen Masse zu trennen. Alles wird eins, verliert sich im Taumel der Sinne und Toxine. Aus der Handlung von Naked Lunch lässt sich verstörendes über die Person von William S. Burroughs ableiten, auch wenn David Cronenberg dessen Motive ganz anders montiert. In ihrem Ansatz bleiben sie aber bestehen. Schildern die wüsten Zuckungen eines hart umnebelten, aber (vielleicht auch deshalb?) genialen Verstandes. Der aus dem Nähkästchen von Sucht, Trip, Paranoia und Entzug plaudert. In dem er alle Ängste, Gefühlsstummel, kulturelle, gesellschaftliche und politische Bestandsaufnahmen – vermutlich nicht ganz gezielt gesteuert – in einen Topf wirft und mit dem kreativen Geist eines ursprünglich wohl angestrebten Kriminalautors versucht, unter einen Hut zu bringen. Das wahre Genie hinter dem Film bleibt auch deshalb Cronenberg, da er dieses Brät von Wahnsinn ins feinstes Tatar verwandelt, das klüger über die Person, seine Prägung und die Lebensumstände des eigentlichen Schöpfers reflektiert, als es dieser wohl je probieren wollte.
Fazit
Da haben sich zwei sicher nicht gezielt gesucht, aber definitiv gefunden. Zumindest das überlegte Mastermind Cronenberg seinen instinktiven Gegenpart William S. Burroughs. Mainstream war Cronenberg nie, aber so abstrakt nicht mal bei "Videodrome". Dafür ähnlich faszinierend, irritierend, entrückt-bezaubernd. Einer seiner Besten. Und die Latte hängt verflucht hoch.
Autor: Jacko Kunze