Trotz einer bisher kleinen literarischen Auswahl, zählt der britische Schriftsteller Kazuo Ishiguro zu den Besten seines Faches. Seine meist leicht bedrückenden Werke, werden von Lesern auf der ganzen Welt ebenso geschätzt, wie von Kritikern. Das dabei Hollywood nicht lange auf sich warten lässt, dürfte nicht weiter überraschen. Bereits 1993 wurde mit Was vom Tage übrig blieb Ishiguros Roman The Remains of the Day verfilmt. Die Umsetzung von Regisseur James Ivory wurde ein voller Erfolg, nicht auch zuletzt durch das gekonnte Spiel von Anthony Hopkins und Emma Thompson. Nun steht mit Alles, was wir geben mussten (Never Let Me Go) ein weiterer vielfach ausgezeichneter Roman von Ishiguro an. Unter der Regie von Mark Romanek sowie einem beeindruckenden Cast, gelingt ihm hierbei wieder eine gekonnte Umsetzung, die besonders durch sein heikles Thema besticht.
Die Geschichte von Alles, was wir geben mussten ist in einem fiktiven alternativen Universum angesiedelt, welches sich mit Fragen der Ethik nicht auseinandersetzt. Durch eine bahnbrechende Entwicklung in den 50ern und 60ern, werden dort die Menschen plötzlich über 100 Jahre alt. Was genau allerdings diese technologischen Fortschritte sind, bleibt unklar. Recht schnell offenbart sich dem Zuschauer aber die Welt, die Kazuo Ishiguro zu erzählen versucht. Die Kinder aus Hailsham und auch vielen anderen Internaten in England, dienen den normalen Menschen als Ersatzteillager. Nach einer kurzen Lebenszeit, spenden sie ihre Lebenswichtigen Organe und erfüllen so ihr Schicksal. Doch trotz dieser frühen Erkenntnis, bleibt die Handlung stets spannend. Warum lassen beispielsweise sich die Kinder die Prozedur gefallen? Werden sie ihre Originale finden oder gar den Kampf gegen das scheinbar ethikfreie System aufnehmen? Sind sie überhaupt Klone oder werden sie in irgendeiner Form gezüchtet? Zwar lässt Regisseur Mark Romanek viele dieser Fragen offen, versucht aber durch seine ruhige teils sanfte Erzählweise den Zuschauer durch die Geschichte zu leiten. Dass er hierbei bereits Erfahrungen hat, bewies er schon 2002 mit dem beklemmenden One Hour Photo eindrucksvoll. Und auch in der Umsetzung von Kazuo Ishiguros Roman, kann Romanek wieder durch seinen visuellen Stil überzeugen. Damit die Vorlage zudem passend umgesetzt wird, erhielt er hierbei Unterstützung durch den Drehbuchautor Alex Garland (Sunshine), der den breiten Stoff des Romanes filmgerecht serviert. Dennoch dürfen die Fans der Vorlage aufatmen, denn anders als bei vielen anderen Werken, bleibt hier der Kern der Geschichte erhalten.
Anfänglich präsentiert sich die Handlung um Hailsham sowie der jüngeren Variante der Protagonisten. Hier leben sie ihr normales Leben, entdecken das andere Geschlecht, schlagen sich mit ihren Mitschülern rum oder versuchen durch malerisches Talent aufzufallen. Dennoch schwebt über allem eine seltsame Ungewissheit. Etwas scheint nicht zu stimmen, obgleich es nicht definiert werden kann. Dennoch fällt auf, dass trotz der Thematik des Klonens oder der Organspende, Alles, was wir geben mussten einen völlig anderen Ansatz als Genre-Kollegen wählt. Kazuo Ishiguro geht mit seiner ungewöhnlichen Geschichte viel tiefer, zeigt Liebe, Gefühle sowie einen aufwühlenden Plot über ein unausweichliches Schicksal. Spätestens wenn das Dreiergespann auf den Bauernhof zieht, gibt es teils gewaltige Ausbrüche von intensiven Ereignissen, die immer wieder für eine melancholische Stimmung sorgen. Besonders im letzten Drittel der Handlung, wenn es auf das vollenden zu geht, wird aus ruhig und leise, tieftraurig und bedrückend. Besonders durch den eigenwilligen visuellen Stil von Regisseur Mark Romanek, wird hier eine ganz besondere Stimmung aufgebaut. Stets ist die grandiose Inszenierung von malerischen Landschaften, einzigartigen Details sowie beklemmenden Motiven geprägt. Allerdings sorgt dieses dafür, dass es der Erzählung an vielen Stellen an Rasanz fehlt. Dies ist zwar passend zur Stimmung, sorgt aber auch für unfreiwillige Längen innerhalb der grandios präsentierten Welt. Die Welt selber jedoch, wird unterdessen passend von der eindringlichen Musik von Rachel Portman exzellent untermalt. Die wunderschönen Melodien tragen viel von der Dramatik und liefern so eine geeignete Atmosphäre.
Größtes Problem von Alles, was wir geben mussten ist indes die Figurenzeichnung. Zwar sind Kathy, Ruth und Tommy durchgehend interessant wie abwechslungsreich gestaltet, besonders die spannungsgeladene Dreiecksbeziehung sorgt für Antrieb, doch dadurch das die drei ihr Schicksal so wohlwollend akzeptieren, stellt sich die Frage ob sie denn tatsächlich Menschen sind. So wird die Frage nach Ethik ein wenig weit strapaziert. Dies ist teils gewollt, stellt man sich als Zuschauer doch die gleichen Fragen, diskutiert oder denkt über die Thematik nach. Allerdings hinterlässt die fehlende Rebellion gegen das scheinbar falsche System einen kleinen Nachgeschmack. Ebenfalls bleibt die Frage nach der Gesellschaft unbeantwortet. In Flucht ins 23. Jahrhundert war es ein despotisches System, in Die Insel das Kapital. Hier zeigt sich aber nur ein gesichtsloses England, welches scheinbar weder Obrigkeiten, noch Häscher besitzt.
Das trotz der kleineren Längen, der eigenwilligen Erzählung und den fehlenden Gesellschaftsaspekten die Geschichte dennoch grandios funktioniert, liegt zum größten Teil an den enormen schauspielerischen Leistungen. Bereits die Kindheitsversionen von Kathy, Ruth und Tommy liefern eine beeindruckende Darstellung ab. Carey Mulligan, die später die Rolle der Kathy übernimmt, kann wieder einmal mehr durch ihr subtiles Spiel überzeugen. Die vielen kleinen Gesten sagen teils so viel, dass meist ein Blick schon vollkommen ausreicht. Aber auch ihre Kollegen können auf voller Linie punkten. Andrew Garfield, der demnächst als Amazing Spider-Man die Leinwand unsicher macht, zeigt sich ruhig, teils aufbrausend, aber immer gekonnt und vollkommen authentisch. Die unruhige verspielte Art seines Charakters kann er perfekt übertragen. Ebenfalls wirkt auch Keira Knightley, als eifersüchtige Ruth, durch ihre Darbietung authentisch. Dennoch liegt sie etwas hinter ihren Kollegen zurück, was teils auch daran liegt, dass Knightley mehr oder minder nur eine Nebenrolle in dem Plot besitzt.