„Die damalige Wirkung von „Nacht und Nebel“ ist heute unvorstellbar. Inzwischen werden diese Bilder ja tatsächlich inflationär, würdelos und wahllos zur Illustrationszwecken benutzt, sogar in Spielfilmen. Als Bildschnipsel werden die schrecklichsten Highlights dieser Aufnahmen heute meist nur noch als Signale wahrgenommen, als eine Art Zeichen für Holocaust. Als aber damals das Licht im Saal anging, und ich war der einzige Deutsche unter ein paar Hundert kleinen Franzosen war, die sich alle zu mir umdrehten, fiel es mir nicht leicht, aufzustehen. Ich sehe noch meine Schulfreunde, wie sie mir stumm oder mit Worten die immer selbe Fragen stellten, die wir uns heute ein halbes Jahrhundert später immer noch stellen: Wie war das möglich?“
Dies sind die Worte des renommierten Autorenfilmers Volker Schlöndorff („Die Blechtrommel“), der sich im Jahre 2008 an seinen dreimonatigen Sprachaufenthalt in einem jesuitischen Internats in der Bretagne zurückerinnert. Und wahrscheinlich hat er Recht damit, dass die Bilder, die Alain Resnais' Dokumentation „Nacht und Nebel“ findet, heute niemanden mehr erschüttern – sie sind längst Gang und Gäbe worden, ob im Fernsehprogramm, wenn N-24 mal wieder das schwärzte Kapitel der Menschheitsgeschichte aufrollt, oder im Kino, wenn sich ein Filmemacher einmal mehr der Ikonographie des Holocausts bedient. Glücklicherweise aber ist „Nacht und Nebel“ eine Dokumentation geworden, die sich nicht damit beschäftigt, die unvorstellbaren Gräuel der Konzentrationslager sensationsheischend auszustellen, stattdessen verfolgt der große französische Künstler Resnais („Letztes Jahr in Marienbad“) das Ziel, ein aktives Gefühl für den Holocaust zu entwickeln; ein Dokument des Schreckens, welches aus den Schwarz-Weiß-Archivaufnahmen und Ghislains Cloquets und Sasha Viernys, in Farbe gehaltenen Fotografien keimt.
Im Adenauer-Deutschland jener Tage wollte sich niemand mit dem Holocaust auseinandersetzen, es gab keine Aufbereitungsarbeit, nicht in den Schulen, nicht auf politischer Ebene, nicht im Wohnzimmer. Resnais Intention war es indes nicht, Aufklärungsarbeit zu leisten und den Auftrag der Réseau du souvenir und dem Comité d’histoire de la Deuxième Guerre mondiale hat er zu Anfang sogar abgelehnt, bis ihm zu Ohren gekommen ist, dass der Literat und ehemalige KZ-Häftling Jean Cayrol die Dokumentation aus dem Off begleiten wird. Tatsächlich ist es „Nacht und Nebel“ nur an einer Sache gelegen: Er stemmt sich gegen das Vergessen. An eine steife Informationsflut ist nicht zu denken, die schwebende Kamera fährt vielmehr unter der musikalischen Begleitung von Hanns Eisler sowie dem reflektierten Text des Jean Cayrol die verranzten Elektrozäune, die Fingerabdrücke im einst aufgeweichten Beton und umwucherter Gleise ehemaliger Konzentrationslager ab. Die Tore mögen sich für den Moment geschlossen haben, doch wer glaubt, dass jene unmöglich in Worte zu fassenden Verhältnisse heute nicht mehr möglich sind, der täuscht sich und schenkt der Menschheit mehr Vertrauen, als ihr in Wahrheit zugesteht.
"...und es gibt uns, die wir beim Anblick dieser Trümmer aufrichtig glauben, der Rassenwahn sei für immer darunter begraben, uns, die wir tun, als schöpften wir neue Hoffnung, als glaubten wir wirklich, dass all das nureiner Zeit und nur einem Land angehört, uns, die wir vorbeisehen an den Dingen neben uns und nicht hören, dass der Schrei nicht verstummt."
- Jean Cayrol (in der Übersetzung von Paul Celan)