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Quelle: themoviedb.org

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Im Jahr 1920 schicken sich in einer süditalienischen Gemeinde die Sozialisten an, die ersten freien Wahlen ihrer Lebzeit zu gewinnen. Unterdessen wird das klerikale Oberhaupt der Gemeinde, Padre Pio, von existenziellen Zweifeln gepackt.

Kritik

Wollte man ein filmeüberspannendes Narrativ zur 79. Biennale finden, so wäre Shia LaBeouf in einer der Hauptrollen. Ob gegangen oder gegangen worden, wie am Rande der venezianischen Filmfestspiele spekuliert wurde, LaBeouf hatte in jedem Fall Olivia Wildes Science-Fiction-Projekt verlassen, und es entbehrt einer schwer zu ignorierenden Ironie, dass er in der Folge in die weit ausgebreiteten Arme Abel Ferraras fiel. Obgleich nun schon seit einigen Jahren vom Katholizismus zum Buddhismus konvertiert, findet das Thema Vergebung, das Ferraras Werk wie kein zweites durchzieht, noch immer regelmäßig in Ferraras Filme, ganz unabhängig davon, wie nahtlos es sich in die mehr oder weniger elaborierten Narrative seiner letzten Werke einfügt (man denke an die Passion of Christ-Hommage im autofiktionalen Tommaso). Nimmt man dieser Tage zur Kenntnis, auf welche Weise sich LaBeouf über seine privaten Verfehlungen äußert (von seiner Ex-Freundin, der Sängerin FKA twigs, wurde ihm sexualisierte Gewalt vorgeworfen), infolge derer sich LaBeouf nach dem durchaus erfolgreichen Jahr 2019 (The Peanut Butter Falcon, Honey Boy) eine Schauspielpause verordnete, so klingt da neben Einsicht durchaus auch Buße an, und es ist diese Art Buße, die Ferrara als Ausgangspunkt seiner Geschichte nimmt.

Angesiedelt in einer süditalienischen Gemeinde des Jahres 1920, wohnen wir zunächst der Ankunft einer Kolonne von Männern bei, die aus den Gefechten des 1. Weltkriegs zurückkehren. Es ist eine Zeit, da ein gewisses Vakuum herrscht: eine Zeit, da angesichts der Schrecken des Weltkrieges die Theodizee prävalenter denn je erscheint, was sich insbesondere an der Figur des von LaBeouf porträtierten Padre Pio manifestiert. Dem gegenüber steht der Glaube an den Fortschritt, der sich in den Treffen der örtlichen Sozialisten äußert, wenngleich nur als logischer Widerspruch (Die Natur, so wird dort skandiert, sei ein Kreislauf des Wandels).  

Entgegen der im Titel suggerierten Zentralität der Padre-Figur spielt LaBeoufs geistlicher Vater nur einen von mehreren Fixpunkten in Ferraras Neuestem. Diese Verschiebung hin zu einer breiteren Figurenkonstellation ist durchaus bemerkenswert: nicht nur, weil Ferrara im Vorfeld die Ikonographie des realen Padre Pio unterstrich ("ein alternativer Jesus"), der später vom Vatikan seliggesprochen wurde, sondern auch, weil eine solche Auffächerung der Figurenfokalisierung untypisch ist für eine Filmographie, die traditionellerweise die singuläre Erfahrung priorisiert. Während wir also die große Verzweiflung des Padre Pio erleben, wenn er, festgehalten von einer viel zu nahen Kamera, in albtraumhaften Visionen von Bluthunden verfolgt wird und vergebens versucht, Abtrünnigen ein "Christ is Lord" abzuringen, bahnt sich um ihn herum ein Konflikt zwischen den Katholiken und den Sozialisten an. Letzte schicken sich bei der Wahl im Jahr 1920 an, die Legislative der kleinen Gemeinde zu gewinnen, worauf die Katholiken nur mit außerparlamentarischen Gewalt zu antworten wissen.

Es ist ein durchaus zwiegespaltener Film, den der Wahl-Römer Ferrara hier anbietet. Zweifellos lassen sich Anknüpfungspunkte finden an Ferraras vorangegangene Filme Tommaso, Siberia, und Zeros and Ones. Joe Delios Score zum Beispiel, eine simpel gehaltene, nokturnale  Zupfmelodie, die in Padre Pio ihre bereits vierte Inkarnation erfährt, schwingt auf ähnliche Weise über alle weiteren Szenen hinweg, hallt in ihnen wieder, wird, wie in den vorangegangenen Werken, dem Antlitz des Vollmondes unterlegt. Die Fokussierung auf einen Plot, der überdies so vorhersehbar – da unvermeidlich – daherkommt, markiert indes eine deutliche Abkehr von den beiden vorangegangenen Werken, die mehr als alles andere als Phantasmagorien taugten, die auf eine gewisse Weise den Zeitgeist reflektierten. Ohnehin scheint eine Abkehr vom Plot vielversprechender, will man sich dieser Tage mit Ferraras Werk auseinandersetzen: So sind Tommaso und Siberia als eine mehr (erster) oder weniger (letzter) gelungene Auseinandersetzung mit dem Thema Maskulinität zu lesen. Zeros and Ones hingegen wirkte wie Ferraras Reaktion auf die COVID-19-Pandemie, angereichert mit einem guten Schuss Wahnsinn, im Zuge dessen der zu keinem Zeitpunkt um Verständlichkeit bemühte Plot gegen Ende gemeinsam mit dem Vatikan in die Luft gesprengt wird – nicht die ganz gelassene Art eines buddhistischen Proselyten.

Weitaus offensiver bemüht Ferrara in Padre Pio die Analogie zu der Beinah-Erstürmung des Capitols am sechsten Januar 2021, als Trump-Anhänger, die Ergebnisse der 59. Präsidentschaftswahlen nicht anerkennend, bewaffneten Marsch auf das Regierungsgebäude machten. Hier nun sind es die Sozialisten, die, die rote Flagge mit Hammer und Sichel schwenkend, nach gewonnener Wahl – der ersten freien Wahl, wie die Sozialist*innen betonen; die Wahl, für die sie gekämpft haben – ordnungsgemäß die Regierungsgebäude beziehen wollen, die ihnen die alteingesessenen Katholiken, mit Hinweis auf die vermeintlich illegitime Wahl, verwehren.

Vielleicht lässt sich somit auch ein anderes Gleichnis, das Ferrara in Padre Pio aufwirft, verstehen: Konfrontiert mit den Zweifeln eines seiner Jünger, erinnert sich der eponyme Padre der Stickereien seiner Mutter während seiner Kindheit, deren Zweck ihm während ihrer Arbeit stets verschlossen geblieben war, bis er sich schließlich in der Position befand, die fertige Stickerei von oben zu betrachten. Genau so, so der Padre, verhalte es sich auch mit den Wegen Gottes, die lediglich aus unserer Position unergründlich seinen. Statt uns mit der vom Film vorgegebenen Lesart zu begnügen, ließe sich die Analogie auch weiterspinnen und auf Ferraras Gesamtwerk übertragen: Mitunter befinden wir uns womöglich zu nah am Text, wenn wir ihn isoliert betrachten. Im Gesamtkontext des Regisseurs Ferrara allerdings entsteht so ein intertextueller Dialog, der Kontinuitäten, Widersprüche und Disruptionen kreiert, die Padre Pio selbst allzu oft vermissen lässt.

Fazit

Padre Pio schreibt Ferraras Werk, insbesondere der letzten Jahre, konsequent fort und findet mit Shia LaBeouf auch einen Hauptdarsteller, wie er sich durch seine Arbeitsweise und seine in die Öffentlichkeit gelangten privaten Fehltritte nicht besser finden ließe. Ohne die Verletzlichkeit Tommasos, die Ambition Siberias sowie den Wahnsinn Zeros and Ones‘ kommt Padre Pio allerdings enttäuschend leblos und träge daher.   

Kritik: Patrick Fey

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