„Wir sind der Traum…und er ist der Albtraum!“
Die Gedanken sind frei…oder eben nicht? Wenn der menschliche Geist zur tödlichen Waffe wird und man selbst zur Geisel des eigenen Körpers. Mit Scanners – Ihre Gedanken können töten setzt David Cronenberg (Naked Lunch) seinen Body-Horror-Zyklus fort, den er 1975 mit Parasiten-Mörder startete und der fast sein gesamtes Schaffen bis zum Millennium maßgeblich prägte. Geist und Körper als Gabe und gleichzeitig Gefängnis, als schicksalhafter Fluch und Bestimmung. Vor der man nicht davon laufen kann, sondern sich damit auseinandersetzen muss, um letzten Endes so etwas wie Erlösung zu finden. Über die Vergänglichkeit und Instabilität des Fleisches und die übermenschliche Kraft der Gedanken oder eher einer paranormalen Energie, die ihnen entspringt.
Cameron Vale (geht glatt als Benedict Cumberbatch-Double durch: Stephen Lack, Die Unzertrennlichen) ist auf der Flucht. Nicht vor irgendwem oder irgendwas, eigentlich ist er auf der Flucht vor sich selbst. Er ist ein Scanner, eine telekinetische Laune der Natur. Er ist in der Lage, die Gedanken seiner Mitmenschen zu lesen und zu beeinflussen. Von Halluzination über körperliche Schmerzen bis hin zur völligen Kontrolle seines Gegenüber scheinen die Möglichkeiten unbegrenzt, nur versteht Cameron weder seine Gabe, noch kann er sie zielgerichtet steuern, handelt mehr intuitiv-spontan und verursacht damit Schaden, den er so nicht beabsichtigt hat. Der Wissenschaftler Dr. Ruth (Patrick McGoohan, Braveheart) nimmt ihn unter seine Fittiche und trainiert ihn in der Kontrolle und dem Ausbau seiner Fähigkeiten, denn Cameron ist die vielleicht einzige Chance, den mächtigen und rücksichtlosen Scanner Revok (Michael Ironside, Starship Troopers) zu stoppen. Dieser hat eine terroristische Untergrund-Organisation ins Leben gerufen, die durch ihre Kräfte die Beherrschung der Welt anstrebt.
Vor dem Hintergrund phantastischen Science-Fiction-Horrors erzählt David Cronenberg eine Art subversiven Agenten- und Spionagethriller, der durchaus als Allegorie auf das damals aktuelle Weltgeschehen betrachtet werden darf. Die Ära des Kalten Krieges, geprägt von Paranoia und der Furcht vor der Bedrohung feindlicher Mächte. In diesem Kontext genießt das Lesen und Beherrschen von Gedanken natürlich noch einen viel höheren, brisanteren Stellenwert; die Manipulation und Instrumentalisierung von Verbündeten durch den Feind spiegelt eine gesellschaftlich-politische Urangst der frühen 80er wieder. Sie sind unter uns und wollen uns zerstören, nisten sich in unseren Gedanken und letztendlich auch noch ganz wo anders ein, was an dieser Stelle allerdings noch nicht verraten werden soll. Cronenberg verzichtet erstmals auf seinen immer stark dominanten, aufregenden und doppeldeutig-analytischen, sexualisierten Sub-Text, was im ersten Moment etwas bedauerlich ist, aber letztlich in dieser Geschichte auch nicht zwingend von Belang.
Scanners – Ihre Gedanken können töten thematisiert nicht Weiblichkeit, Triebhaftigkeit und ungestilltes Verlangen, konzentriert sich mehr auf das Zusammenspiel von Geist und Körper, sogar die Vernetzung von Mensch und Maschine. Unterlegt mit einem dillirisch-bedrohlichen Synthesizer-Score von Howard Shore steht der Kampf mit und gegen das eigene Bewusstsein, die eigene Identität und auch die eigene Macht im Vordergrund, die schnell zur größenwahnsinnigen Allmachtfantasie mutieren kann. Vale und Revok sind wie Doctor Charles X. Xavier und Magneto. Zwei Begabte, zwei Individuen, die von der normalen Gesellschaft als Bedrohung eingestuft werden und unterschiedlich darauf reagieren. Eine Konfrontation im großen Stil ist unausweichlich und da berstet nicht nur schlicht der Schädel. Im Duell der beiden Alphatiere zelebriert Cronenberg den plastisch-bestechenden Body-Horror als destruktives, zersetzendes Effekt-Spektakel, an dessen Ende die nächste Stufe steht. Die Zerstörung des Körpers, der einschränkenden, gefangennehmenden Hülle zur Befreiung und Wiedergeburt des Geistes. Seelen-Piraterie, völlig losgelöst von allem Materiellen. Bevor das neue Fleisch bejubelt wurde, musste das alte erst zu Grunde gehen. Selbstzerstörung zur Selbsterhaltung. Ein echter Cronenberg halt. Extrem körperliches Kopf-Kino mit Leib und Seele.