Die Regie-Karriere des gebürtigen Stuttgarters Robert Schwentke ist unglaublich interessant und wechselhaft. Nachdem er mit Tattoo bewiesen hat, dass düstere Thriller aus Deutschland ohne Tatort-Patina möglich sind, wechselte er nach Hollywood und inszenierte Hits wie Flightplan - Ohne jede Spur oder den ersten R.E.D., aber auch Misserfolge wie R.I.P.D. - Rest in Peace Department. Als er nach dem gescheiterten Versuch, mit Die Bestimmung die Divergent-Reihe zu retten, wieder in seiner deutschen Heimat drehte, gab es sicherlich Stimmen, die glaubten, dass er in der Traumfabrik erledigt sei. Doch Der Hauptmann, seine erste deutsche Produktion seit 2004, bewies viel mehr, dass der Filmemacher seine Erfahrung nun in einen deutschen Anti-Kriegsfilm einfließen ließ. Das Ergebnis war brachiales Kino, das seine Botschaft schnaufend und selbstbewusst vor sich her trug.
Danach ging es zurück in die USA, nur um dort gleich mit Snake Eyes: G.I. Joe Origins wieder einen kommerziellen wie künstlerischen Flop hinzulegen. Das Spin-off zur G.I. Joe-Reihe war elendig profan, ob Robert Schwentkes Seneca jetzt als schöpferischen Ausgleich fungiert? Möglich wäre es, zumindest wirken beide Titel (auch wenn sie natürlich nicht miteinander vergleichbar sind) wie Tag und Nacht. Dort der um Gewinn bettelnde Blockbuster, dort das selbstbewusste und teilweise radikale Arthouse-Kino. Egal wie man zu den Werken des Regisseurs im Einzelnen steht, seine Filmvita ist nicht zwingend gelungen, aber unglaublich interessant. Eine nicht zu verachtende Wertigkeit, aber auch ein Attribut, das auf Seneca als Einzelwerk leider nicht zu trifft.
John Malkovich spielt den Philosophen Seneca, der es schaffte das Exil hinter sich zu lassen, zum Lehrer des jungen Kaisers Nero wurde und seit dem mit Reichtum und Ansehen überhäuft wurde. Doch seinem Zögling (dargestellt von einem wirklich widerlich aufspielenden Tom Xander) steigt die Macht zu Kopf und Seneca landet auf der Abschussliste. So kommt es, dass eines Tages der ein Legionär (Andrew Koji, Bullet Train) bei ihm auftaucht und ihn vor eine Wahl stellt: Seneca kann sich selbst töten oder der Legionär macht es, wird das Ende des Philosophen aber alles andere als leidlos gestalten.
Das Dilemma von Seneca beginnt im Grunde nicht mit dem Auftauchen des Legionärs. Der weise Mann unterhält die Patrizier Roms (u. a. von Julian Sands, Alexander Fehling und Geraldine Chaplin gespielt) mit Wonne und Nachdruck durch Vorführungen der Ungerechtigkeiten, die um ihn herum existieren: Armut, Gewalt, Unterdrückung. Allerdings ist es Seneca selbst, der davon profitiert. Während er die Ungerechtigkeit Roms anprangert, lässt er sich wie selbstverständlich, wie die Aristokratie, die er kritisiert, von Sklaven auf einer Sänfte transportieren. Robert Schwentke inszeniert die Konflikte, mit denen die Titelfigur kollidiert, wie ein Off-Theaterstück. Es gibt nur wenige Kulissen, als Tempel dienen meistens nur ein paar antike Ruinen. Die Dialoge werden theatralisch zelebriert und vorgetragen. Das Ganze erinnert an Julie Taymors Adaption von William Shakespeare' Titus mit Anthony Hopkins aus dem Jahre 1999.
Vereinfacht ausgedrückt ist Seneca das Klischee vom Aktivisten, der verurteilt und vorschlägt, aber niemals wirklich selbst etwas im Sinne seiner Ansichten umsetzt. An diesem Konflikt ackert sich der Film ab. Mal dramatisch, mal satirisch. Was gleich bleibt ist das aufgedunsene Spiel der Darsteller*innen, das leider selten einen inszenatorischen Konterpunkt erhält. Während beim eben genannten Titus die Inszenierung das über-melodramatisch unterstreicht und verstärkt, sodass es wie eine Feuerwalze über einen hereinbricht, wirkt Seneca oft einfach viel zu anti-energetisch. Zwar erlaubt sich der Film immer mal wieder teils unschön aufgeblähte Gewaltmomente, wie einen versuchten Doppelselbstmord, doch hinter dem Shock Value will sich nicht wirklich etwas mehrwertig aufbauen. Ja, der Film bietet Diskussionsmaterial en masse, das Problem ist nur, dass er nicht gerade die Lust weckt, sich mit der vorkommenden Thematik auseinanderzusetzen. So bleibt Seneca die Art von anspruchsvollem Kinos, das seine Darsteller hofiert und stolz das Wappen der höheren Kunst vor sich her trägt. Mit Recht, was aber nicht zwangsläufig bedeutet, dass es ein sehenswerter Film ist.