Inhalt
Theaterregisseurin Jeanine übernimmt die Wiederaufführung der bekanntesten Arbeit ihres ehemaligen Mentors und Liebhabers, eine Inszenierung der Oper „Salome“. Parallel zu den Proben, in denen sie sich mit dem Trauma der Titelfigur auseinandersetzt, muss Jeanine die Beziehungen in ihrem Privatleben neu sortieren. Gleichzeitig kreuzen sich auf unerwartete Weise ihre Wege mit denen einiger Sänger*innen und anderer Produktionsmitglieder.
Kritik
Die patriarchalische Position, von der aus Atom Egoyan (Remember) nicht nur auf seine Hauptfigur, sondern eine durch die unerfahrene Regisseurin Jeanine (Amanda Seyfried, My Ex-Friend's Wedding) und ein Ensemble ähnlich unsympathischer Charaktere verkörperte Armada weiblicher Kultur- und Kunstschaffender herabblickt, zeigt sich ironischerweise am markantesten in seiner Interpretation des titelinspirierenden Bühnenstücks. Das ist Oscar Wildes Skandalstück Salomé, dessen biblisch basierte Bühnenhandlung für die aufdringlichen Analogien des verworrenen Familienmelodrams entscheidend ist. Nicht so Richard Strauss danach verfasste Oper, die Jeanine inszeniert.
Diese Ummantelung soll das Überdeutliche titelgerecht doch etwas verschleiern, obwohl längst klar ist, für wen die fiktiven Figuren innerhalb der Filmrealität stehen. Nicht zuletzt, da die manierierte Inszenierung keine Gelegenheit, ob dialogisch, visuell oder aktiv, auslässt, die Psycho-Parallelen hervorzuheben. Die Protagonistin ist Salome, die von König Herodes den Kopf Johannes des Täufers für einen Kuss fordert. Ein Akt, der als „erstes Sexualverbrechen der Geschichte“ bezeichnet wird. Das ist derart abstrus, dass man es auseinandernehmen muss.
Egoyan nimmt ein Stück von fundamentalistischer Fiktion, übergeht seitenweise sexuellen Missbrauch von Frauen und Mädchen, um eine der wenigen Szenen, in denen eine weibliche Bibelgestalt Aktionskraft zeigt, als erstes Sexverbrechen darzustellen - obwohl die Hinrichtung Herodes befiehlt und das „Opfer“ (lediglich bei Wilde, die Bibel belässt es beim Köpfen) ein Leichenteil ist. Ähnlich misogyn verzerrt sind erwartungsgemäß die Beziehungen Egoyans Texts. Darin existieren Frauen im Kulturbetrieb nur, weil ihre Männer oder Mentoren sie dorthin gefördert haben.
So wie Jeanine ihr verstorbener Mentor und älterer Liebhaber, gemäß dessen Wunsch seine Gattin (Lanette Ware, Firestarter) als Erbin des Intendanten-Posten die vormalige Schauspielerin die Oper „wiederaufführen“ lässt - mit entscheidenden Änderungen Jeanines. Die kämpft neben ihrer Ehekrise mit hervorbrechenden Erinnerungen an den - implizit sexuellen - Missbrauch durch ihren Vater, der sie „zu sehr liebte“. Diese perverse Gleichsetzung von Sex, pädophiler Gewalt und Liebe steht in unangenehmer Kongruenz zur Suggestion, das Trauma gäbe der Betroffenen die nötig Inspiration.
Das Theaterstück ist in der sexualneurotischen Soap Johannes der Täufer - personifiziert durch dessen von Jeanine begehrte Understudy (Douglas Smith, Horizon: An American Saga) - das sie massakriert, um ihm ihre eigene Signatur aufzudrücken. Aber tatsächlich inszeniert hat diese auf der Leinwand nun vermeintlich angemessen pathologische Produktion von Salomé, non-diegetisch nun doppelt und dreifach, Egoyan. Dessen 1996 mit der Canadian Opera Company realisierte Interpretation filmisch recycelt wird. Klar, wer gemeint ist, wenn Jeanine sagt: „Sie klatschen immer noch für dich.“
Fazit
Nachdem Atom Egoyan Salomé bereits in der Opernfassung malträtierte, zelebriert und multipliziert er seine verstaubte Aufführung in Filmform. Nach Wildes Maxime, das Leben imitiere die Kunst, entfaltet sich ein perverses Potpourri. Das sagt nichts über kreative Katharsis oder psychosexuelle Projektion, dafür über die narzisstischen Neurosen des Regisseurs. Der tilgt die Queerness aus Wildes Stück, aber sublimiert in der kruden Handlung sexuellen Missbrauch. Blechern gespielt und dramaturgisch abstrus, demaskiert das überspannte Beziehungsdramolette unbeabsichtigt seinen Autor.
Autor: Lida Bach