Inhalt
In "Shelley" darf nicht nur der Titel als Referenz an Mary Shelleys "Frankenstein" verstanden werden. Auch in den dänischen Wäldern scheint sich eine Kreatur nach und nach gegen ihren Schöpfer zu richten – oder etwa doch nicht? Um endlich eine Wohnung für sich und ihren Sohn kaufen zu können, nimmt die Rumänin Elena eine Stelle als Haushaltshilfe bei einem Ehepaar in Dänemark an. Kasper und Louise haben sich an einem See im Wald in den reduziertesten Verhältnissen eingerichtet, pflanzen ihr eigenes Gemüse an und verzichten auf Strom und fließend Wasser. Louise leidet stark darunter, dass sie nach einer Fehlgeburt keine Kinder mehr bekommen kann. Weil sie so schneller an das benötigte Geld kommt, willigt die mitfühlende Elena ein, das lang ersehnte Kind des Paares als Leihmutter auszutragen. Keine gute Idee, wie sie schnell am eigenen Leib erfahren muss. Ihre Schwangerschaft wird zum Horrortrip aus verstörenden Visionen und Albträumen. Elena wird das Gefühl nicht los, dass es das ungeborene Kind auf ihr Leben abgesehen hat.
Kritik
Der gute Horror der alten Schule, ruhig, mit verdeckten Karten, knisternder Atmosphäre und leisen Ahnungen. Die Teufelsbrut, die Angst vor der unbestimmten Zukunft - etwas, was wohl jeden Menschen erreicht -, die Ausbeutung des menschlichen Körpers, bis er nur noch eine Hülle ist. Erleichtert von jeglichem Charakter, erlöst von der Seele, von Gedanken und Emotionen. Nur ein totes Etwas, das außerhalb eine seltsame Mischung aus vertrocknet und schlabberig sein kann, das in sich zusammenfallen würde, wenn es nicht noch Impulse gäbe, die ziellos durch den Körper gejagt werden. Diesen Horror sucht Ali Abbasi in seinem nach der Autorin des Frankenstein-Romans benannten Film Shelley. Der dänische Film wurde, bevor er zum Programm des Fantasy Filmfests dazustieß, auf der Berlinale gezeigt.
Zu Beginn glitzert die Sonne auf der Wasseroberfläche eines bildschönen Sees. Das Wetter ist herrlich, die Natur von umwerfender Schönheit. Absolute Stille herrscht in den umliegenden Wäldern; das Wasser zieht gemach aus dem Bild heraus, nur der pfeifende Wind und sanfte, rasierklingenscharfe Klänge ertönen und durchschneiden die Ruhe. Wäre man nicht so angetan von der visuellen Reinheit, könnte man ob der Töne gar unruhig auf dem Sitzplatz umherrutschen. Das Schöne existiert hier nur an der Oberfläche und wird alsbald verdrängt werden, vom trockenen Verderben, das sich im Körper der Figuren einnistet und sie von innen auffrisst. Der Himmel färbt sich rot, das Grauen erhält langsam Einzug in die Idylle. Dabei ist es eigentlich nur Elena (Cosmina Stratan aus Jenseits der Hügel), die von dem Ehepaar Louise und Simon in ihrer Hütte mitten in den wunderbaren Wäldern nahe dem glitzernden See aufgenommen wird.
Elena scheint als Hausfrau engagiert worden zu sein und fährt mit Simon zu dessen Haus; die Gesichter sind dabei stets hinter den Schatten auf der Windschutzscheibe verdeckt. Es ist beinahe, als würde das Auto von selbst fahren, als würden Geister kommunizieren und das Unwirkliche das Steuer übernehmen. Doch anstatt nun jegliche Schrauben ordentlich anzuziehen, dreht Abbasi die Zeit zurück. An der Hütte angekommen, wird Elena offenbart, dass es in diesem Haut keinen Strom gibt, nur das Sonnen- und Kerzenlicht erhellt das Leben der Figuren. Dominieren tut jedoch die Dunkelheit; jener schwarze Bereich, der so viele herrliche und unheimliche Geheimnisse verbirgt. „Es gibt mehr in dieser Welt als das, was du sieht.“ wird gesagt. Es gibt mehr als Licht und Dunkel, mehr als Tag und Nacht. Mehr als das, was wir von anderen Menschen visuell wahrnehmen können. Über neunzig Prozent von dem, was einen Menschen ausmacht, ist nicht sichtbar. Volle hundert Prozent von dem, was zwischen Menschen passiert, ist nicht sichtbar.
Als Elena sich dazu bereit erklärt, das Kind von Louise auszutragen, hebt dies das Sein der beiden auf eine neue Stufe. Eine, in der Worte nicht notwendig sind. Louises Charakter ist generell bemerkenswert, da nicht einzuschätzen. Sie könnte über 50 Jahre alt, oder in den 30ern sein. Sie ist schüchtern, scheint aber stets mehr zu wissen als alle anderen. Sie möchte sich nicht zu sehr einmischen, kann sich jedoch nie zurückhalten. Louise ist ein Wesen aus dem Zwischenbereich neben Licht und Schatten, Tag und Nacht. Und sie sorgt dafür, dass Elena auch dort hineingesogen wird. Wäre da nicht das Übel aus dem Inneren, das Leben ist, aber Leben zerstört. Der Film besinnt sich auf eine überaus natürliche Herangehensweise an das Leben; der Wohnort der Familie ist abgeschnitten, ganz auf die Fähigkeiten der Natur ausgerichtet und ohne technische Hilfsmittel ausgestattet. Nur das Auto dient als potenzielle Fluchtmöglichkeit. Doch im großen Ganzen sind die Figuren dort in ihrer angeblichen Freiheit gefangen. Mit sich selbst, mit ihren Ängsten und den inneren Dämonen. Und bis die zum Vorschein kommen, verstreicht nicht allzu viel Zeit.
Fazit
Ali Abbasis Film „Shelley“ ist ein sehr ruhiger, aber stetig schwelender Gruselfilm, der es versteht, sich an klassischem Horrorkino zu orientieren. Der Film beginnt in wahrer Schönheit und endet in falscher. Beginnt in reiner Natürlichkeit und endet in vorgegebener und inszenierter Reinheit. Das ist raues dänisches Kino und überaus sehenswert.
Autor: Levin Günther