MB-Kritik

Six jours ce printemps-là 2025

Eye Haïdara
Leonis Pinero Müller
Teodor Pinero Müller
Jules Waring

Inhalt

Eine alleinerziehende Mutter unternimmt mit ihren Zwillingen einen geheimen Ausflug in die leerstehende Villa ihrer ehemaligen Schwiegereltern an der Riviera. Was als harmlose Frühlingsferien beginnt, wird zu sechs lebensverändernden Tagen in der Sonne.

Kritik

Die subtile zwischenmenschliche Dynamik unter der Hülle alltäglicher Interaktion und die verborgenen emotionalen Spannungen hinter der Maske harmonischer Gemeinschaft, die   (Ein Schweigen) in seinen letzten beiden Filmen ertastete, stehen auch im Fokus seines jüngsten Werks. Dessen scheinbar unbeschwertes Szenario eines Ferienurlaubs, zu dem Sana (Eye Haïdara, Furies) mit ihren beiden jungen Söhnen (Leonis Pinero Müller und Teodor Pinero Müller) aufbricht, verrät früh die unterliegende Anspannung der Protagonistin. Der nächtliche Aufbruch ähnelt mehr der Flucht vor einer Realität, die sie unweigerlich einholt. 

Der Titel markiert den Zeitraum bis zu diesem Punkt der Akzeptanz, den beunruhigende Vorzeichen ankündigen. Nur bruchstückhaft enthüllt sich die konkrete Situation, aus der heraus Sana beschließt, mit ihren Söhnen in das luxuriöse Anwesen ihrer ehemaligen Schwiegereltern zu fahren. Der Aufenthalt in dem villenartigen Anwesen mit Pool erscheint zuerst als Notlösung. Alle Hotels in der Umgebung sind ausgebucht oder unbezahlbar. Auf das Angebot ihres jüngeren Partners Jules (Jules Waringo) ein hochklassiges Hotel auf seine Kosten zu buchen, will sie nicht eingehen. 

Für die Jungen beginnt der Ausflug in das Haus ihrer Großeltern als harmloses Geheimnis zwischen ihnen und ihrer Mutter. Sie hat ihnen bisher den Bruch mit ihren Schwiegereltern ebenso verheimlicht wie das Ausmaß der familiären Konflikte. Jene gären immer heftiger unter der Oberflächliche der Oberfläche der trügerisch trivialen Ereignisse. Die Angst vor Entdeckung hält Sana und Jules in ständiger Anspannung und untergräbt die Freude der Jungen. Während sie immer mehr der unausgesprochenen Sorgen ihrer Mutter mitbekommen, erkennt sie sich zunehmend selbst als Fremde in ihrer Umgebung. 

Sommersonnenlicht fällt nur spärlich in die dunkel getäfelten Räume, die trotz ihrer Weitläufigkeit beengend bleibt. Nahaufnahmen und verwinkelte Perspektiven geben ein Gefühl nervöser Heimlichkeit. Mit seiner katalogartigen Makellosigkeit, die mehr an ein Boutique-Hotel als ein Zuhause erinnert, wird der vornehme Schauplatz zum Synonym eines Zukunftsversprechens, das sich für Sana nie materialisiert hat. Als Schwarze Angehörige der Arbeiterschicht ist sie in doppeltem Sinn Eindringling im soziologischen Mikrokosmos wohlhabender Weißer. Diese sozialstrukturelle Facette indes verliert sich in einer inszenatorischen Perspektive, der die eigenen Privilegien die Sicht versperren.

Fazit

Eye Haïdaras nuanciertes Spiel und die naturalistische Darstellung ihrer kindlichen Kollegen verleiht dem Figuren-Trio im Zentrum Joachim Lafosses introvertierten Familiendramas mehr psychologische Tiefe als die schlichte Story hergibt. Die brüchige  Dramaturgie umkreist die vielseitigen Implikationen des Szenarios ohne dessen sozialstrukturelles Potenzial auszuschöpfen. Für die spezifischen Verhaltensmuster und Gewohnheiten, die sozialökonomische Milieus voneinander abgrenzen, fehlt dem Regisseur ebenso das Gespür wie für die unterdrückten Ängste der Protagonistin. Was bleibt ist gediegenes Schauspielkino, so unpersönlich wie der elitäre Hauptschauplatz und vergessenswert wie der prätentiöse Piano-Soundtrack. 

Autor: Lida Bach
Diese Seite verwendet Cookies. Akzeptieren.