Inhalt
Das beginnende 20. Jahrhundert ist die Glanzzeit der Helden der frühen japanischen Filmgeschichte: Die sogenannten Benshi, die als Kinoerzähler den Figuren in Stummfilmvorführungen eine Stimme gaben, waren oft größere Stars als die Schauspieler*innen. Auch der junge Filmliebhaber Shuntaro will ein Benshi werden.
Kritik
Gesehen beim Nippon Connection On Demand 2022
Kaum verdunkeln erste Wolken die Sonne müssen sämtliche Darsteller*innen des Ensembles Inne halten und die Rückkehr des natürlichen Lichtes abwarten. Es vergehen Augenblicke der Stille und Regungslosigkeit, bis der Regisseur das Zeichen zur Wiederaufnahme der Dreharbeiten gibt. Gleich zu Beginn wohnt Talking the Pictures der Entstehung eines Ken-geki (Samuraifilm) bei und etabliert damit seine unverhohlene Liebe zu den Anfängen des Kinos. Doch der neue Film von Masayuki Suo (Shall We Dance?, I just didn't do it) widmet sich nicht nur Huldigungen ans Kino, sondern auch dem Berufswesen der Benshi.
Einer jener gefeierten Sprecher zu werden, die in Japan zu Stummfilmzeiten Charakteren auf der Leinwand ihre Stimme liehen und die lautlosen Geschichten erklärten, ist das Ziel des Filmliebhabers Shuntaro (Ryo Narita, The Inerasable), dessen holprigen Werdegang sich der Film annimmt. Talking the Pictures ist dabei in erster Linie lockeres und komödiantisches Historienkino, das dem Benshi-Kult zum einen hinreichend Aufmerksamkeit schenkt und ihn zum anderen zu parodieren weiß. Wirklich ernst wird es zwischen den Überzeichnungen der Charaktere und allerhand Slapstick-Einlagen selten. Viel mehr versucht der Film mit temporeicher Inszenierung und seinen spielfreudigen Schauspieler*innen größtmöglichen Spaß zu entfachen.
In Verbindung mit Querverweisen zu den Anfängen des japanischen Films mag das in der ersten Hälfte auch noch gut funktionieren, spätestens nach der ersten Stundenmarke wird die Geschichte jedoch ausgebremst. Mit der Verstrickung in verschiedene Subplots von einer Romanze bishin zum uninspirierten Konflikt mit einer kriminellen Bande lässt der Film seine anfängliche Energie und das Ergründen des Kinoerzählers schleifen und sowohl das im frühen 20. Jahrhundert angesiedelte Setting als auch Metareferenzen zum vergangenen Filmemachen an Reiz verlieren.
Wo der Film in über zwei Stunden genügend Zeit findet, Kinovorführungen auszukosten und zu zelebrieren, verliert er interessante historische wie gesellschaftliche und künstlerische Aspekte aus dem Auge, die Talking the Pictures noch etliches an Tiefe hätten verleihen können. Diese weicht jedoch schon im Prolog einer spielfreudig- und leichtfüßigen Inszenierungsweise und den energischen, häufig überdeutlichen Darbietungen der Akteur*innen, die sich zwar nie gänzlich in einem Bilderstrudel á la Nobuhiko Ôbayashis Labyrinth of Cinema verlieren, aber doch durch eine kunterbunt und reich ausgestattete Vergangenheit straucheln.
Fazit
„Talking the Pictures“ ist eine aufgeregte Hommage an die Anfänge des japanischen Kinos und die eigene Kunst der Benshi, aber auch ein zu lang geratener Genremix aus historischer Fiktion, Gangster-Action und simpler Komödie, dem einfallsärmere Handlungsstränge baldigst zum Verhängnis werden.
Autor: Paul Seidel