MB-Kritik

The End 2024

Documentary

Inhalt

Ein Künstler, ein Zoologe, ein Naturwissenschaftler und ein Schafzüchter, der im IT-Sektor arbeitet und zufällig auch Astronomie liebt, sehen den Untergang biologischer Körper alle unterschiedlich. Aas im Wald, Larven unter Grabsteinen, Schafe im Stall, Schichten aus Federn und Knochen und schimmernde grüne Fliegen auf verwesendem Fleisch – inmitten all dessen versucht ein Mensch, seinen Platz in der Kosmologie zu verstehen. Was ist die menschliche Spezies in diesem großen Wandteppich der Transformation: Teil eines Zyklus oder eher übermenschlich?

Kritik

Du existierst einen Moment lang, du machst etwas, du kämpfst wie ein Tier.“, sinniert einer der Charaktere Māris Maskalāns filmischen Memento Mori während er im Wald seinem morbiden Handwerk nachgeht, „Dennoch sind wir die einzige von allen Tieren, die wissen, dass sie sterben werden”. Zwar ist die verhaltenswissenschaftliche Validität dieser Aussage fraglich - alle, die jemals Tiere beim Schlachter gesehen haben, wissen dass diese durchaus Todesangst zeigen - doch sie verstärkt den düsteren Dunstkreis der morbiden Meditation. 

Jene führt das Kinopublikum an Orte, deren Besuch außerhalb spezifischer sozialer Begängnisse (und in einigen Fällen: Besuchszeiten) weitgehend Tabu ist und die gerade deshalb eine unheimliche Faszination ausüben. Einer jener Orte ist der Friedhof, auf dem der Malakologe Edgars Dreijers nach den schleimigen Spuren der von ihm erforschten Weichtiere sucht. „Menschen sind Menschen. Aber eine Schnecke ist etwas komplett anderes“, dessen beiläufige Beobachtungen über Aberglaube und Abscheu zum Hinterfragen der gesellschaftlichen Distanz zu Verwesungsprozessen anregen. 

Die historischen Hintergründe solcher Urängste, wie etwa fehlendes Verständnis von Infektionsprozessen und Sepsis, interessieren den Dokumentarregisseur kaum. Ihm geht es um gegenwärtige Reaktionen und auch Ressentiments gegenüber Menschen ohne die gängigen Berührungsängste mit dem Tod. Wie der am Drehbuch beteiligte Veterinär und Naturforscher Ilmars Tirmanis, der buchstäblich Skelette im Schrank hat, oder Künstler Kristians Brekte, dessen Foto-Archiv an Leichenporträts an den Wandel kultureller Abschiedsrituale erinnert. Doch bei all dem kratzt die Inszenierung nur an der Oberfläche.

Fazit

Vor der korrespondierenden Kulisse märchenhafter Waldeinsamkeit, skurriler Ateliers und ehrwürdiger Friedhöfe versammelt Māris Maskalāns stimmungsvolle Studie genug faszinierende Themen und interessante Persönlichkeiten für eine ganze Doku-Reihe. Entsprechend kurz kommt das Ergründen der makaberen Motive. Deren schwermütige Symbolik und mystisch Melancholie lockert milder Humor im Umgang mit der Vergänglichkeit. Deren stets respektvolle Reflexion ist weniger Ziel als Zufallsgewinn der berührungsangstfreien Begegnungen mit Menschen. Deren kreativer und konstruktiver Bezug zum titelgebenden Tod macht dessen Kontemplation erfrischend lebendig.

Autor: Lida Bach
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