Mike Flanagan, Macher von gefeierten Serien wie Spuk in Hill House und Der Untergang des Hauses Usher, hat sich längst als versierter Erzähler metaphysischer Geschichten mit emotionaler Wucht und atmosphärischer Dichte profiliert. Umso überraschender wirkt The Life of Chuck, seine mittlerweile dritte Stephen-King-Adaption nach Das Spiel und Stephen Kings Doctor Sleeps Erwachen, die sich als filmisches Kuriosum entpuppt – zugleich faszinierend, irritierend und in weiten Teilen leider auch enttäuschend.
Flanagans Verfilmung von Stephen Kings Kurzgeschichte The Life of Chuck (zu finden in der Novellensammlung Blutige Nachrichten) gliedert sich in drei voneinander abgesetzte Kapitel, die rückwärts durch das Leben des unscheinbaren Charles Krantz (Loki-Star Tom Hiddleston) – genannt Chuck – führen. Mit jeder Episode nähert sich der Film seinem Protagonisten weiter an und möchte ihn, gleichsam einer kosmischen Rückblende, aus unterschiedlichen Blickwinkeln erfahrbar machen. Vor allem der Auftakt überzeugt durch atmosphärische Dichte und erzählerisches Gespür:
Eine diffuse Unruhe liegt in der Luft, Straßen brechen auf, das Internet kollabiert – und plötzlich blickt das Gesicht eines unbekannten Mannes von Werbetafeln, Tanzvideos und Bildschirmen. Flanagan entwirft ein ebenso rätselhaftes wie einnehmendes Szenario, das durch präzises Worldbuilding, sorgfältige Erzählung und die Andeutung metaphysischer Zusammenhänge fesselt. Hier scheint sich ein Film zu entfalten, der Persönliches und Kosmisches kunstvoll verknüpft. Doch dieses erzählerische Versprechen bleibt nicht nur uneingelöst, es zerfällt zusehends in formale und emotionale Beliebigkeit.
Statt das geheimnisvolle Grundmotiv weiterzuführen oder zu hinterfragen, wie sich die Welt um Chuck auflösen konnte – und weshalb –, vollzieht der Film bereits mit Beginn des zweiten Kapitels einen überraschenden Tonwechsel. Flanagan schlägt eine märchenhafte, fast versöhnliche Richtung ein, die sich stärker für beiläufige Lebensweisheiten interessiert als für psychologische Tiefe oder philosophische Reflexion. Es wird getanzt, gelacht, sinniert – begleitet von einer omnipräsenten Voice-Over-Stimme (immerhin im Original von Nick Offerman), die unermüdlich auf die Bedeutung der kleinen Dinge verweist.
Was anfangs wie eine poetische Meditation über Vergänglichkeit anmutet, mündet zunehmend in sentimentale Allgemeinplätze. Visuell bleibt der Film dabei erstaunlich konventionell: Statt surrealer Bildwelten oder eindrucksvoller Tableaus dominiert eine sterile, oft glanzlose Ästhetik, die kaum mit der thematischen Größe harmoniert. Es ist manchmal wirklich bedauerlich wie der tolle Cast (u. a. Jacob Tremblay, Chiwetel Ejiofor, Karen Gillan, Mia Sara, Mark Hamill, David Dastmalchian, Harvey Guillén und Matthew Lillard) oftmals vor faden Kulissen agieren muss.
Es gelingen vereinzelt stille, berührende Momente – etwa wenn die Konfrontation mit der (eigenen) Endlichkeit behandelt wird –, doch wirken solche Szenen mehr wie emotional isoliert Splitter. Besonders problematisch bleibt die Figur selbst: Chuck wird nicht als Mensch mit inneren Konflikten erfahrbar, sondern erscheint als abstrakter Träger spiritueller Deutungen. Selbst seine Krebserkrankung bleibt dramaturgisch blass, ein Symbol unter vielen im überladenen Bedeutungskosmos. Die esoterisch aufgeladene Wendung „I contain multitudes“ – entlehnt Walt Whitmans berühmtem Gedichtband – verstärkt diese Distanz: Statt Nähe zu schaffen, wirkt sie wie eine poetische Behauptung ohne Resonanz. Der Film ersetzt emotionale Tiefe durch symbolisches Pathos – und droht dabei seine Aufrichtigkeit zu verspielen.
Auch das abschließende Kapitel, das als emotionaler Höhepunkt fungieren soll, verfehlt seine Wirkung. Anstatt die zuvor angedeuteten Motive aufzugreifen und zu einem schlüssigen Ganzen zu führen, hinterlässt das Ende ein zerfasertes Bild – ein Werk, das seine stärksten Impulse zu früh offenbart und ihnen anschließend kaum noch gerecht wird. Die angestrebte Verbindung von Intimem und Kosmischem bleibt skizzenhaft und lässt klare dramaturgische Konturen vermissen.
So bleibt The Life of Chuck letztlich der ambitionierte Versuch, Leben, Tod und das Universum in einer einzigen Figur zu bündeln – ein Unterfangen, das zwar von aufrichtiger Intention getragen ist, jedoch an konzeptioneller Unschärfe und erzählerischer Sprunghaftigkeit scheitert. Ein Film, der poetisch, universell und philosophisch erscheinen will, sich jedoch mehr und mehr in gefälligem Kitsch verliert – gefälliger Kitsch, der gleichwohl das Publikum emotional erreichen kann.
Tatsächlich sorgte The Life of Chuck für Aufsehen, als er beim Toronto International Film Festival 2024 überraschend den Publikumspreis gewann. Der US-Verleiher NEON sicherte sich zwar zügig die Rechte, entschied sich jedoch für eine neunmonatige Startverschiebung – und entzog dem Film damit die Chance auf eine Oscar-Kampagne. Auch an den Kinokassen blieb der große Erfolg aus: Lediglich 6 Millionen US-Dollar spielte der Film weltweit ein. Doch wer weiß – auch Die Verurteilten (1996) floppte zunächst, ehe er zum Klassiker avancierte. Ob Chuck ein ähnliches Schicksal ereilt? Möglich. Ob es gerechtfertigt wäre? Das bleibt Ansichtssache.