1998 drehte der Regisseur Gus Van Sant (Milk) ein Remake des Klassikers Psycho. Das Besondere an seiner Neuverfilmung war, dass der Filmemacher penibel Szene für Szene nachstellte. Gleiches Szenenbild, gleiche Einstellung, gleicher Schnitt, gleiche Musik. Marginale Details wurde geändert und statt Schwarzweiß waren die Bilder nun farbig. Die Sinnhaftigkeit des Ganzen wurde damals ausgiebig diskutiert, ohne wirklich einen Konsens zu finden.
21 Jahre später bringt Disney einen ihrer ganz großen Meilensteine, Der König der Löwen, wieder in die Kinos. Kein Re-Release, sondern ein Remake und genau wie damals bei Psycho, ist der Film im Grunde eine Kopie. Schwitzten damals bei der Entstehung des Originals die Zeichner an ihren Zeichenbrettern, schwitzten nun wohl die Animatoren an ihren Rechnern und das ordentlich, denn bevor diese Kritik darauf eingeht, warum der neueste Beitrag von Disneys Neuverfilmungs-Welle eine Unverschämtheit ist, müssen erst einmal klare Worte des Lobes ausgesprochen werden.
Der neue Der König der Löwen ist ein technisch fulminantes Werk. Nach den Naturpanoramen in Arlo & Spot und dem ebenfalls bereits technisch großartigen The Jungle Book beweist der Mickey-Mouse-Konzern hier erneut, was alles möglich ist mit der gegenwärtigen Technik. Der König der Löwen sieht durch und durch fotorealistisch aus. Die Flora und Fauna ist fernab vom sogenannten Uncanny Valley und tatsächlich weckt der Film bereits nach wenigen Momenten den Eindruck, dass hier wirklich echte Antilopen, Elefanten und Zebras sich vor dem kleinen Löwenprinzen verneigen. Selbst wenn die Tiere beginnen zu sprechen, wirkt dies nicht befremdlich – zumindest wenn man bereit ist, sich darauf einzulassen. Allerdings hat die Technik ein entscheidendes Problem: Die Emotionen bleiben mimisch eher platt. Ein gezeichneter Simba trauert halt einfach viel intensiver um seinen toten Vater, als das Löwenjunge aus Bits und Bytes.
Ein weiterer klarer Pluspunkt der Neuverfilmung sind die neuen Stimmen. In der amerikanischen Sprachfassung, die der Presse gezeigt wurde, sind diese vollends überzeugend. Fans des Originals dürfen sich auf eine Rückkehr von James Earl Jones (Der Prinz aus Zamunda) als Mufasa freuen, während Seth Rogen (Das ist das Ende) und Billy Eichner (Parks & Recreation) als Timon und Pumbaa die Funktion des Comedy Duos stimmlich perfekt ausfüllen. Beyoncé Knowles (Dreamgirls) als Nala bleibt etwas blass, während Donald Glover (Solo: A Star Wars Story) als älterer Simba gut besetzt ist. Auch an Last Week Tonight-Host John Oliver als Zazu gewöhnt man sich schnell. Im Grunde ist der Nashornvogel der heimliche Star des Films.
Aber eigentlich ist der wahre Star des Films keine der Figuren, sondern Disney. Seit einigen Jahren bringen diese ihre Trickfilmklassiker als Live-Action-Remakes in die Kinos und feiern damit meist immens große kommerzielle Erfolge. An diesen Produktionen haftet eigentlich immer ein großer Kritikpunkt: Plagiatismus. Denn im Grunde sind es Abpausungen der Originale, bei denen meist nur marginale Veränderungen vorgenommen wurden. Nur bei Elliot, der Drache und Dumbo haben sich die Macher tatsächlich größere Gedanken gemacht, wie man der bekannten Geschichte neue Facetten abgewinnen kann. Belohnt wurde das nicht. Die beiden Filmen blieben hinter den Erwartungen zurück.
Ob man etwas mit den neuen Der König der Löwen anfangen kann, ist eine Frage des eigenen Anspruchs. Was erwartet man selbst von einem Remake? Im Idealfall gewinnt ein Remake dem Original neue Aspekte ab. Dem Der König der Löwen-Regisseur Jon Favreau gelang dies vor ein paar Jahren rudimentar mit seinem The Jungle Book. Eine Qualität, die er nun aber schmerzlich vermissen lässt. Statt neue Facetten mit eigenen Ideen zu erarbeiten, suhlt sich Favreau lieber in Vergangenheitssehnsucht. Jede kopierte Szene will das Gefühl der guten alten Zeit evozieren. Jede Einstellung schreit einem förmlich entgegen, dass es ja genauso toll ist wie damals, als man als Kind emotional involviert in die Geschichte war und "Hakuna Matata"mitgesungen hat.
Der König der Löwen setzt all seine Anstrengungen auf seine Technik und denkt dabei nicht einmal daran, sich eine wirkliche Eigenständigkeit zu erarbeiten. Es gibt zwar zusätzliche Szenen, die ursprünglich aus dem Broadway-Musical von Julie Taymor (Across the Universe) stammen, aber auch diese bringen keine Frische in die Erzählung oder weiten diese brauchbar aus. So mieft der Film durchgängig nach billiger Nostalgie, nach der Verweigerung wirklich etwas zu wagen. Neu an dieser Neuverfilmung ist, abgesehen von der Technik, fast gar nichts.
Spätestens jetzt sollte sich deutlich zeigen, dass Disney es sich zu bequem gemacht hat. Ihr neuer Der König der Löwen ist kein autarkes Werk mehr. Es ist nur noch eine lieblose Dublette. Erschaffen für den Konsum, nicht mehr für die Kunst. Es ist reinrassige Lieblosigkeit, die uns mit dem großen Löffel in den Schlund geschoben wird und wir jauchzen fröhlich, weil es ja Der König der Löwen ist. Mit diesem Nostalgiewahnsinn muss Schluss sein! Der Zuschauer verdient mehr als diese Verblendung, diesen billigen Taschenspielertrick. Der König der Löwen sieht fortschrittlich aus, aber eigentlich ist er das komplette Gegenteil.
Es sollte uns wirklich wütend machen, was Disney da abzieht. Dieser Der König der Löwen erklärt sein Publikum für dumm. Für unfähig zu begreifen, dass man gerade ordentlich veräppelt wurde. Deswegen die klare Empfehlung, diesen Film zu boykottieren. Wer DerKönig der Löwen sehen will, kann dies gerne tun, aber bitte daheim. Die Blu-ray des Klassikers aus dem Jahre 1994 gibt es seit April 2018 zu kaufen. Auch eine Art und Weise, Disney Geld zukommen zu lassen.