Inhalt
Maja (Noomi Rapace) hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg mit ihrem Mann (Chris Messina) ein neues Leben in einem amerikanischen Vorort aufgebaut. Ihre Vergangenheit in Europa versucht sie zu vergessen und hat diese auch ihrem Mann bislang verheimlicht. Während eines Ausflugs mit ihrem Sohn lässt die zufällige Begegnung mit einem Fremden (Joel Kinnaman) jedoch die Erinnerung an die erlebten Gräuel unvermittelt wiederaufkommen. Und nicht nur das: Maja ist überzeugt, in dem Fremden ihren früheren Peiniger wiederzuerkennen und beschließt kurzerhand, Rache zu üben für das, was er ihr und ihrer Familie angetan hat. Sie entführt den Mann und hält ihn im Keller ihres Hauses gefangen, um ihn zu einem Geständnis zu zwingen. Seinen Unschuldsbeteuerungen schenkt sie keinen Glauben. Ihr Ehemann, der sich mit einer glaubwürdigen Identität des Gekidnappten sowie Majas fragmentierter Erinnerung konfrontiert sieht, zweifelt: Was er meinte, von seiner Frau zu wissen, erweist sich als unwahr und ihre bisherige gemeinsam aufgebaute Existenz ist in Gefahr. Täuscht sich Maja?
Kritik
Der menschliche Verstand ist ein trübes Gewässer. Erinnerungen sind subjektiv, manipulierbar und reifen über Wochen, Monate oder Jahre oftmals zu einem Abbild eines Ereignisses, das in seinen ganzen Details manchmal nicht mehr der einstigen Realität entspricht. Mit dieser Prämisse entführt der Regisseur und Drehbuchautor Yuval Adler (Die Agentin) sein Publikum in die US-amerikanischen Suburbs kurz nach dem Ende des 2. Weltkriegs. The Secrets We Keep – Schatten der Vergangenheit ist ein Hitchcock-like Rape & Revenge-Flick, der das Thema der Vergangenheitsbewältigung in den Fokus rückt und versucht die (Un-)Zuverlässigkeit des menschlichen Verstandes sowie die Konsequenzen einer daraus resultierenden Handlung zu verarbeiten.
Leider erweist sich dieser Versuch größtenteils als Fehlversuch. Wo die Motivationen der Protagonistin Maja (Noomi Rapace – Prometheus – Dunkle Zeichen) glasklar bleiben, verschwimmen die Erinnerungen. Die Mutter und Hausfrau entführt den Mann, von dem sie glaubt, dass er als ehemaliger SS-Soldat schwerwiegende Kriegsverbrechen gegen sie begangen und sie so schwer traumatisiert hat. Das physische Katz-und-Maus-Spiel zwischen Maja und dem gekidnappten Thomas (Joel Kinnaman – House of Cards) ist schnell beendet, doch beginnt dann das psychische Katz-und-Maus-Spiel in Majas Verstand. Inwiefern lassen sich Erinnerungen als verlässliche Quelle und als ausschlaggebendes Argument für die Entscheidung über Leben und Tod verwenden? Stellen Erinnerungen in derartigen Situationen eine Hilfe oder vielmehr eine Gefahr für das menschliche Handeln dar? Und welches Ausmaß an Einfluss haben Majas traumatische Erlebnisse auf ihr Erinnerungsbild? Der Keller des Familienhauses wird zu Majas persönlichem Nürnberg umfunktioniert.
Leider bleiben aber all diese Fragen unbeantwortet. Der Film kratzt stets an der Oberfläche dieses philosophischen Korpus, schafft es aber zu keinem Punkt in das aussagekräftige Innere einzudringen. Der Film erweist sich Rachefeldzug, der jedoch nie so richtig in Fahrt kommt und sich letzten Endes auch als wenig konsequent entpuppt. Zwar entsteht zwischen Maja und ihrem Ehemann Lewis (Chris Messina – Sharp Objects) eine durchaus interessante konfliktäre Beziehung, doch aufgrund der übereilten Erzählung bleibt auch diese Beziehung hinter ihren Möglichkeiten zurück und verweigert den Figuren einmal mehr ein tiefgründiges Profil. The Secrets We Keep – Schatten der Vergangenheit ist ein überwiegend identitätsloser Streifen, der den Zuschauer am Ende mit einer sehr fragwürdigen oder vielmehr sehr feigen Message aus dem Kinosaal entlässt. So schnell die knapp 100 Minuten vorbei sind, so schnell ist die vermeidliche Odyssee durch die Aufarbeitung traumatischer Erinnerungen und deren Handlungsfolgen leider auch wieder vergessen.
Fazit
„The Secrets We Keep – Schatten der Vergangenheit“ erweist sich unter seinem durchaus spannenden Deckmantel leider als recht identitätsloser Revenge-Flick, der versucht komplexe moralphilosophische Fragen zu beantworten, letztendlich aber keine kohärente Antwort darzubieten weiß. Mit ein wenig Finesse im Drehbuch und etwas mehr Laufzeit hätte hier eine überaus ansehnliche Philosophiestunde entstehend können.
Autor: Oliver Koch